Möchten Sie lieber einen Corona-Bond oder ein Corona-Voucher? Wenn Sie mich fragen, ich hätte am liebsten den neuen Bond, dessen für April geplante Kino-Premiere durch das Virus verhagelt wurde. Not und Home-Office-Langeweile machen erfinderisch. Zwei monetäre Ideen zur Verbesserung der Liquiditätskrise liegen derzeit auf dem Tisch. Der Corona-Bond wird von der deutschen Regierung (noch) abgelehnt, der Corona-Voucher (Gutschein) dagegen stark befürwortet. Ein Grund, sich mit dem Gutschein-Vorschlag hier etwas näher zu beschäftigen.
Der Gutschein-Vorschlag der Regierung
Am 2. April hat das „Corona-Kabinett“ der Bundesregierung die Umsetzung einer Gutscheinlösung bei vorausbezahlten Pauschalreisen, Flugtickets und Freizeitveranstaltungen beschlossen. Bislang kann der Kunde im Fall einer Absage des Veranstalters innerhalb einer kurzen Frist sein Geld zurückverlangen. Bedingt durch die Maßnahmen der Bundesregierung zur Seuchenbekämpfung müssen seit einigen Wochen Flüge, Reisen und Freizeitveranstaltungen abgesagt werden. Der Zeitpunkt der Lockerung oder Aufhebung der Restriktionen ist ungewiss. Die gesetzlich geschuldete kurzfristige Rückzahlung würde viele Veranstalter in die Illiquidität und damit in die Insolvenz treiben. Da bietet sich die von der Regierung geplante Gutschein-Lösung an. Der Kunde erhält statt Geld einen Gutschein (Papier oder in digitaler Form), der bis zum 31. Dezember 2021 eingelöst werden kann. Der Veranstalter behält den vorausbezahlten Betrag und den Kunden. Falls der Kunde bis dahin den Gutschein nicht einlöst, kann er erst ab dem 1. Januar 2022 seine Forderung zu Geld machen. Wenn der Veranstalter bis dahin pleite ist, haftet der Staat. Letztendlich läuft es darauf hinaus, dass die kurze Frist zur Rückzahlung von 7 Tagen (Flugtickets) bzw. 14 Tagen (Pauschalreisen) um mindestens 18 Monate verlängert werden kann.
Die Verbraucherverbände sind natürlich nicht begeistert und bezeichnen die Maßnahme als zinslose Zwangskreditgewährung der Konsumenten, deren Liquiditätslage krisenbedingt ebenfalls gefährdet ist. Für Freizeitveranstaltungen hat die Bundesregierung bereits einen „Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Veranstaltungsvertragsrecht“ vorgelegt. Bei Flugtickets und Pauschalreisen muss allerdings die Europäische Kommission noch zustimmen, da vorübergehend das auf EU-Ebene schwer erkämpfte europäische Recht (EU-Pauschalreiserichtlinie und die EU-Fluggastrechteverordnung) außer Kraft gesetzt wird. Die ersten Reaktionen aus Brüssel zur Anfrage der Bundesregierung sind daher eher ablehnend.
In der Regel wird der Gutschein nicht leistungsbezogen sein (z. B. Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Rom), sondern auf den vorausbezahlten Euro-Betrag lauten. Damit hätte ich als Konsument zusätzlich das Risiko höherer Preise in der Post-Corona-Zeit. Dieses Inflationsrisiko ist wegen der weit geöffneten Geldschleusen bei gleichzeitig stark reduzierter Wertschöpfung keineswegs hypothetisch. Und nicht zu vergessen: Die Klimasteuer und der geringere insolvenzbedingte Wettbewerb zwischen den Anbietern. Die Kaufkraft eines 100-Euro-(Gut-)Scheins einer Fluggesellschaft wird im Januar 2022 sicherlich geringer sein als heute.
Für Ende April war eine Tagung in Riga geplant, woran ich teilnehmen wollte. Bereits Mitte Februar hatte ich mir Flugtickets bei airBaltic gekauft und bezahlt. Die Fluggesellschaft stornierte vor einigen Tagen den Flug. Wenn ich statt der Rückzahlung von Geld den Gutschein wählen würde, bietet man mir einen 20 Euro-Bonus. Trotz Prämie bevorzuge ich aber die Geld-Rückzahlung, da die Chance, dass ich in absehbarer Zeit Flüge dieser relativ kleinen Fluggesellschaft nachfragen werde, sehr gering ist. Die Entscheidung würde aber anders ausfallen, wenn airBaltic mir einen Gutschein anbieten würde, den ich nicht nur bei airBaltic, sondern auch bei anderen oder sogar allen europäischen Fluggesellschaften einreichen könnte. Wäre ein European Airline Voucher für den Verbraucher nicht wesentlich attraktiver als ein airBaltic-Gutschein?
European Airline Voucher
Gegenüber der einfachen 2-Parteien-Lösung erfordert ein derartiger (digitaler) anbieterübergreifender Gutschein einen Drittdienstleister, der die Herausgeberschaft regelt und/oder übernimmt, die Guthabenkonten für die Gutscheininhaber führt und die Verrechnung (Clearing) zwischen den teilnehmenden Firmen organisiert. Im Markt gibt es bereits eine Reihe solcher Dienstleister (z. B. im Bereich der multi-merchant loyalty schemes und City-Cards). Alle Fluggesellschaften, die statt der gesetzlich erforderlichen Rückzahlung die European Airline Voucher anbieten möchten, treten dem System bei und verpflichten sich zur Akzeptanz dieses Vouchers. Das weiterhin existente Insolvenzrisiko sollte – wie in der Closed-Loop-Lösung der Bundesregierung – vom Staat übernommen werden. Bedingt durch die erweiterten Nutzungsmöglichkeiten könnte man sogar auf die Barrückzahlung bei Nicht-Einlösung ab 2022 verzichten. Außerdem hätte diese in der Not geborene Lösung auch in der Post-Corona-Zeit eine Existenzberechtigung als European Airline Gift Card, als Instrument für Verbraucherentschädigungen bei Flugverspätungen usw.
Ein ähnliches Open-Loop-Modell könnte man auch für die anderen „prepaid“-Segmente (Pauschalreisen und Freizeitveranstaltungen) organisieren. Wenn man auf eine Papierlösung verzichtet, führt eine händlerübergreifende digitale Gutscheinlösung allerdings ins regulatorische Fahrwasser. Hier hat der Gesetzgeber bereits in Pre-Corona-Zeiten eine unbürokratische und freizügige Regelung festgelegt. Solange das Zahlungsinstrument nur für eine begrenzte Palette von Waren oder Dienstleistungen, die in einem funktionalen Zusammenhang stehen, genutzt werden kann, bleibt die Ausgabe gemäß § 2 Absatz 1 Nr. 10 ZAG („limited range“) unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. Einhaltung bestimmter Betragslimits) erlaubnisfrei. Es gibt also – wie für eine Tank- oder Kinokarte – deutlich reduzierte regulatorischen Hürden für eine Flugkarte (Plastik oder digital), die sogar grenzüberschreitend als Zahlungsinstrument genutzt werden kann.
Der Freizeit-Gutschein
In Krisenzeiten, in denen manche Regierungen einem sogar der Spaziergang verboten werden kann, darf man zumindest im Kopf eine Idee weiterspinnen. Man könnte sich sogar einen segmentübergreifenden Corona-Super-Gutschein vorstellen, der von allen Fluggesellschaften, Reiseveranstaltern, Theatern, Kinos, Sportveranstaltern, Restaurants usw. akzeptiert wird. Eine Art Freizeit-Gutschein („Leisure-Voucher“ hört sich besser an). Aus BaFin-Sicht würde ein derartiges Zahlungsinstrument die Grenzen der Bereichsausnahme vermutlich sprengen, aber man kann in Krisenzeiten auch mal ein Auge zudrücken.
Die Grenze zwischen Gut- und Geldschein ist letztendlich nur die begrenzte Akzeptanz des Gutscheins bzw. die gesetzlich erzwungene Universalakzeptanz des Geldscheins. Die Begrenzung des Gutscheins kann man zu einer Art „Nebengeld“ erweitern. Ein gutes Beispiel ist die Amazon Gift Card, die sogar bei Lösegeldforderungen zum Einsatz kommt. Auch kann man die Begrenzung für die gezielte Liquiditätsverbesserung in bestimmten Marktsegmenten, die unter der Krise besonders leiden, gezielt ausnutzen. Im Gegensatz zu unserem Universalgeld ist der Gutschein zur Nutzung in bestimmten Marktsegmenten und für bestimmte Marktteilnehmer programmierbar. Eine Krisenbekämpfung auf Basis von programmiertem Geld ist demnach die effektivere Variante. Wäre ein Post-Corona-Konjunkturprogramm durch Ausgabe von Leisure-Vouchers nicht eine überlegenswerte Idee? Freizeit-Geld: Vielleicht etwas hedonistisch, aber immer noch besser als Schwarz-, Drogen- oder Arbeitslosengeld. Ein auf Freizeit programmiertes Geld passt außerdem zum kommenden arbeitsschonenden digitalen Zeitalter der künstlichen Intelligenz.
Letzte Woche übrigens habe ich mich zum Thema “Prepaid-Produkte gegen die Krise” mit Christian Walz und Stefan Schneider in der 49. Episode von PayTechTalk ausgetauscht. Reinhören lohnt sich.
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