In der Diskussion um sog. cold calls im Direktmarketing wird gerne der Punkt übersehen, dass für die telefonische Kundenakquise im B2B-Bereich das Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung des B2B-Kunden zu diesen Anrufen nicht zwingend erforderlich ist. Unter cold calls versteht man Anrufe zu Werbezwecken, die nicht vom Angerufenen initiiert wurden bzw. für die kein vorheriges Einverständnis des Angerufenen vorliegt.
Wie ist die Rechtslage bei Cold Calls?
Unaufgeforderte Anrufe zu werblichen Zwecken bei Verbrauchern und Unternehmen sind für den Angerufenen oftmals lästig und können einen Überrumpelungscharakter haben.
In § 7 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb („UWG“) hat der Gesetzgeber die Fälle unzumutbarer Belästigungen geregelt, insbesondere die Fälle, in denen eine unzumutbare Belästigung bei Werbung stets, also ausnahmslos anzunehmen ist (§ 7 Abs. 2 UWG), und die Fälle, in denen dies ausnahmsweise einmal nicht der Fall ist (§ 7 Abs. 3 UWG).
Nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG ist eine telefonische Kontaktaufnahme zur Werbung gegenüber Unternehmen nur gestattet, wenn zumindest von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden kann. Das stellt einen kleinen, aber durchaus relevanten Unterschied zur telefonischen Werbung gegenüber Verbrauchern dar und generell zu jeglicher Art der Werbung mithilfe einer automatischen Anrufmaschine, eines Faxgerätes sowie mittels SMS oder E-Mail gegenüber Verbrauchern oder Unternehmen, denn bei all diesen Varianten der Kontaktaufnahme ist eine werbliche Ansprache grundsätzlich nur bei Vorliegen einer ausdrücklichen Einwilligung gestattet.
Was sagt die Rechtsprechung?
Auch wenn das Merkmal der mutmaßlichen Einwilligung des Angerufenen in werbliche Telefonanrufe im B2B von der Rechtsprechung restriktiv ausgelegt wird, so wird hierdurch doch ein zusätzlicher Anwendungsbereich für das telefonische Direktmarketing eröffnet, der durchaus praxisrelevant sein kann. So hat der Bundesgerichtshof („BGH“) entschieden, dass ein Unternehmen im B2B-Bereich Telefonwerbung akzeptieren muss, wenn diese„(…) seinen Interessen noch in einem solchen Maße entspricht, das[s] die damit verbundenen Belästigungen als hinnehmbar erscheinen“ (BGH, Urteil vom 05.02.2004 – I ZR 87/02 – Telefonwerbung für Zusatzeintrag).
Der Einsatz von Voicebots
Unter dieser Prämisse, dass Werbeanrufe im B2B-Bereich bei Vorliegen eines zumindest mutmaßlichen Einverständnisses durchaus erlaubt sein können, erscheint der Einsatz von sog. Voicebots als effektives Marketingtool reizvoll. Unter Voicebots sind unter Einsatz künstlicher Intelligenz („KI“) gesteuerte, digitale Telefonagenten zu verstehen. Im Dialog mit dem angerufenen Kunden wandelt der Voicebot die Sprache per Transkription in maschinenlesbaren Text in Echtzeit um, gleicht Kundenanfragen mit der Wissensdatenbank ab und spielt eine KI-optimierte Antwort an den Kunden aus.
Die entscheidende Frage, die sich nun für den Bereich der B2B-Telefonakquise stellt, ist, ob die von einer KI initiierte und auf eine mutmaßliche Einwilligung gestützte Kontaktaufnahme eines Voicebots mit einem Gewerbetreibenden unter das „Privileg“ des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG fällt, oder anders ausgedrückt: Ist ein Anruf eines Voicebot beim Gewerbekunden, der in der Lage ist, Anfragen individuell, sozusagen dialogisch zu beantworten, ein Telefonanruf im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG oder doch eher dem Einsatz einer automatischen Anrufmaschine im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG gleichzusetzen, so dass in jedem Fall eine ausdrückliche, vorherige Anspracheeinwilligung des Kunden erforderlich wäre?
Unter einem Telefonanruf im Sinne des UWG wird eine vom Werbenden telefonisch eingeleitete oder veranlasste individuelle mündliche Kommunikation verstanden (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 43. Aufl. 2025, UWG § 7 Rn. 142). Abzugrenzen ist diese Form der individuellen Kommunikation von Anrufen unter Verwendung automatischer Anrufmaschinen (sog. Voice Mail), die allein schon wegen der wörtlichen Erwähnung in § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG – und darin liegt wohl der entscheidende Unterschied – auch gegenüber Gewerbetreibenden nicht ohne deren vorherige Einwilligung erfolgen dürfen.
Eindeutige Stellungnahmen der Rechtsprechung, worin nun bei einem KI-basierten Voicebot der Schwerpunkt liegt, ob in der automatisierten sprachlichen Wiedergabe vorproduzierter Ansagen (entsprechend einer automatischen Anrufmaschine) oder in der individuellen sprachlichen Interaktion des Voicebot mit dem angerufenen Kunden, sind derzeit nicht erkennbar.
Letztlich erscheint eine Gleichstellung von Voicebot-Telefonaten mit Anrufen menschlicher Telefonagenten im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG zumindest dann angebracht, wenn der Voicebot unter Einsatz künstlicher Intelligenz in der Lage ist, in Echtzeit und individuell mit dem Kunden im Dialog zu kommunizieren. Dann ist eine Gleichsetzung mit einem Telefonanruf eines menschlichen Telefonagenten wegen Vergleichbarkeit gerechtfertigt. Dies hat konsequenterweise zur Folge, dass KI-gesteuerte, softwaregestützte Anrufe eines Voicebots unter § 7 Abs. 2 Nr. 1 UWG fallen und im B2B auch auf Initiative des werbenden Unternehmens (sog. Outbound Call) geführt werden können, sofern von einer mutmaßlichen Einwilligung des Angerufenen ausgegangen werden kann.
Ausblick: KI-Transparenzpflichten ab dem 2. August 2026 nach dem AI Act
Ab dem 2. August 2026 verpflichtet Art. 50 KI-VO Anbieter und Betreiber von KI-Systemen, im Rahmen einer sehr differenzierten Regelung und nach Maßgabe von Risikoeinstufungen, Nutzer explizit darüber zu informieren, dass sie mit einer KI interagieren, sofern dies nicht wirklich offensichtlich ist. Insbesondere Chatbots und KI-generierte Inhalte müssen klar als solche kenntlich gemacht werden. Diese Verpflichtung umfasst sowohl die Information der Nutzer als auch die Gestaltung der Systeme, sodass eine bewusste und informierte Interaktion ermöglicht wird.
Die Regelungen greifen über die allgemeinen Transparenzpflichten des UWG hinaus und bieten eine spezifische Grundlage zur Vermeidung von Irreführungen durch Unterlassen. Ob und in welchem Umfang Wettbewerber Verstöße gegen diese Verpflichtungen abmahnen können, bleibt jedoch abzuwarten. Bis zur Klärung durch Rechtsprechung oder ergänzende Vorgaben der europäischen oder nationalen Gesetzgebung könnte die Durchsetzung dieser Transparenzpflichten für Anbieter und Betreiber noch Unsicherheiten bergen.