Mit Urteil vom 4. Mai 2023 (C-300/21) hat der EuGH entschieden, dass für immateriellen Schadensersatz nach DSGVO ein erheblicher Eingriff in geschützte Rechtspositionen des Betroffenen keine Voraussetzung ist (wir berichteten). Umso wichtiger dürfte für die Kundenkommunikation im B2C in Zukunft die Abgrenzung zwischen bloßer Kundeninformation und werblicher Ansprache sein, wie eine Entscheidung des OLG Hamm aufzeigt.
Seit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Mai 2018 scheint die klassische B2C-Kundenansprache im Direkt Marketing über den nach wie vor relevanten Ansprachekanal E-Mail mit noch größeren Risiken verbunden zu sein: Neben dem bekannten Risiko einer Inanspruchnahme durch einen Endkunden, einen Mitbewerber oder Verbraucherschutzverband auf Unterlassung, gestützt auf den Einwand, eine ausdrückliche Einwilligung für den Erhalt der empfangenen E-Mail läge im konkreten Fall nicht vor, verlangen Betroffene vermehrt neben der bloßen Unterlassung zusätzlich „Schmerzensgeld“ bzw. immateriellen Schadensersatz nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO.
Die hierfür vorgetragene Begründung ist einfach: Sofern die von einem Unternehmen an einen Endverbraucher versendete E-Mail wegen Fehlens einer zuvor ausdrücklich erteilten Einwilligung (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG) unrechtmäßig ist, schließt dieser Verstoß automatisch eine unrechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten nach der DSGVO mit ein und soll daher einen Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO auslösen, ohne dass dabei die Erheblichkeit des Eingriffs eine Rolle spielen soll.
Mit dieser Argumentation musste sich auch das Oberlandesgericht Hamm beschäftigen. In einer Entscheidung vom 19.05.2022 (Az. 6 U 137/21) schärfte bzw. präzisierte das Gericht die Voraussetzungen für das Vorliegen zulässiger Endkunden-Kommunikation. Bestätigung findet das Gericht damit auch beim Bundesgerichtshof (Az. I ZR 94/22), der die gegen den Beschluss des OLG Hamm erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen hat.
In der Sache ging es um eine E-Mail, mit welcher ein Unternehmen, das eine softwarebasierte Online-Plattform für die Meldung von Reitsportveranstaltungen anbietet, registrierte Kunden im Jahr 2020 über Dokumentationspflichten im Zusammenhang mit einer neuartigen Viruserkrankung bei Pferden informierte. Das Unternehmen verband diese Information mit dem Hinweis, wie diese behördlichen Dokumentationspflichten innerhalb der Online-Plattform, die nur registrierten Kunden zur Verfügung steht, erfüllt werden könnten.
Aufgrund eines technischen Fehlers bei der Versendung dieser E-Mail erhielt ein Kunde, der sich bereits sieben Jahre vorher im Jahr 2013 für das Online-Produkt des Unternehmens registriert hatte, diese E-Mail direkt 13 Mal hintereinander und verlangte neben Untersagung des weiteren Erhalts von Emails des Unternehmens Schmerzensgeld nach DSGVO in Höhe von mindestens 25.000 Euro. Er begründete dies damit, dass es sich bei der E-Mail um Werbung handelte, zu der er seine Einwilligung nicht erteilt habe. Ferner sei die Berufung des Unternehmens auf eine etwaige Einwilligung oder sonstige Werberechtfertigung nach sieben Jahren ohne irgendeine Nutzung der Daten des Klägers unzulässig. Auch sei in dem 13-fachen Erhalt der E-Mail in seinem E-Mail-Postfach eine unzumutbare Belästigung zu sehen. Die damit einhergehende unrechtmäßige Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten löse zudem einen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz nach der DSGVO aus, wobei Fragen zu Art. 82 DSGVO im Rahmen eines Vorlageverfahrens letztlich vom Europäischen Gerichtshof geklärt werden müssten.
Das beklagte Unternehmen hielt die E-Mail hingegen nicht für Werbung, sondern für Zusendung wichtiger Informationen in Erfüllung seiner Obliegenheiten gegenüber dem Kläger. Ebenso sei keine Verletzung des Rechts des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung gegeben, so dass auch keine Klärung von Auslegungsfragen zu Art. 82 DSGVO bzw. eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof notwendig sei.
Letzterer Auffassung folgt im Ergebnis das OLG Hamm, wie zuvor auch das Landgericht Münster in erster Instanz (Az. 2 O 11/21), und weist die Berufung zurück.
Was kann die Entscheidung für die Praxis bedeuten?
- Nun, zunächst und losgelöst vom konkreten Sachverhalt lässt sich dem Beschluss des OLG Hamm entnehmen, dass trotz des weiten juristischen Werbebegriffs eben nicht quasi in jeder Endkundenansprache eines Unternehmens (auch) Werbung gesehen werden kann. Zum Verständnis: Der Bundesberichtshof versteht unter Werbung alle Maßnahmen eines Unternehmens, die auf die Förderung des Absatzes seiner Produkte oder Dienstleistungen gerichtet sind, womit außer der unmittelbar produktbezogenen Werbung auch die mittelbare Absatzförderung erfasst wird (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 2018. Az. VI ZR 225/17, Rz. 18, unter Bezugnahme auf Art. 2 lit. a der Richtlinie 2006/114/EG über irreführende und vergleichende Werbung).)
- Fehlt in der Kundenansprache das Element der Förderung von künftigen Geschäftsabschlüssen, etwa weil das in der E-Mail erwähnte Produkt des Unternehmens für den registrierten Kunden kostenlos ist und das Unternehmen keine künftigen Produktverkäufe (z.B. in Form von kostenpflichtigen Updates) an den Kunden anstrebt, kann in der E-Mail ebenfalls keine Werbung gesehen werden.
- In der Tatsache allein, dass zwischen Registrierung des Kunden und dem Erhalt der Unternehmenskommunikation ein längerer Zeitraum (vorliegend über sieben Jahre) liegt, kann nicht geschlossen werden, dass der registrierte Kunde für das Unternehmen erkennbar kein Interesse mehr in den Erhalt von E-Mails dieses Unternehmens hat. Damit widerspricht das OLG Hamm der Auffassung anderer Gerichte, wonach eine Einwilligung nach dem Ablauf von einigen Monaten bzw. Jahren quasi „verbraucht“ sei (zuletzt AG München spätestens nach vier Jahren (Urteil vom 14.02.2023, Az. 161 C 12736/22)).
- Die mehrmalige Zusendung einer E-Mail allein aufgrund eines technischen Versehens stellt ebenfalls keine unzumutbare Belästigung dar, da die mehrfachen Zusendungen gerade nicht erfolgt sind, um die Aufmerksamkeit oder die Ressourcen des Klägers in Anspruch zu nehmen.
- Ein Schmerzensgeldanspruch ergibt sich nicht aus Art. 82 DSGVO, wenn die Daten rechtmäßig verarbeitet werden: Eine rechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten liegt aber dann vor, wenn der Betroffene bei einem Unternehmen eine unbefristete Registrierung für einen Online-Service anfragt und dabei freiwillig seine Daten an das Unternehmen übersendet.
Fazit – Neben der Aussage des OLG Hamm, das nicht jede B2C-Kommunikation quasi automatisch Werbung ist, sondern es auf eine Einzelfallbetrachtung ankommt, wobei zwischen der werblichen Intention der Absatzförderung durch Kundenkommunikation einerseits und dem Interesse eines Unternehmens, seine Kunden zu seinem Vertragsprodukt sachlich zu informieren, differenziert werden muss, besteht der Kern der Entscheidung in der Feststellung, dass die Einwilligung eines Endkunden in den Erhalt von E-Mail-Nachrichten als registrierter Kunde eines Unternehmens grundsätzlich nicht zeitlich beschränkt ist. Auch lösen technische Pannen beim E-Mail-Versand für sich betrachtet noch keine Unterlassungsansprüche, und schon gar nicht Ansprüche auf immateriellen Schadensersatz nach der DSGVO aus.