Schon wieder Klagen wegen Widerrufsbelehrung?! – Das EuGH-Urteil vom 26. März 2020

Widerrufsbelehrung | EuGH-Urteil | PayTechLaw

Das Thema Widerrufsinformation oder Widerrufsbelehrung (nachfolgend: „Widerrufsbelehrung“) bei Darlehensverträgen beschäftigte einen Haufen Anlegeranwälte und damit auch eine Menge Bankanwälte, wobei beide Seiten einhellig berichten, dass die große Welle der letzten Jahre deutlich weniger geworden ist. Dies hat insbesondere mit der gesetzlichen Befristung der Widerrufsmöglichkeit zum 21. Juni 2016 bei Fällen vor dem 10. Juni 2010 und der diesbezüglich abgelaufenen Verjährung zum 31. Dezember 2019 zu tun.

Entscheidung des EuGHs zur Widerrufsbelehrung

Nun rollt die nächste Welle von Verfahren hinsichtlich der Widerrufsbelehrung an. Und das ist eine große Welle.

In aktuellen Zeitungsartikeln ist von einem betroffenen Kreditvolumen von 1,5 Billionen Euro an Baukrediten und Autofinanzierungen die Rede.

Verursacht wird dies durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 26. März 2020 (Aktenzeichen C-66/19).

In diesem Urteil hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine im Markt übliche Widerrufsbelehrung bei Kreditverträgen den Verbraucher nicht „klar“ und „prägnant“ über den Beginn der Widerrufsfrist belehrt hat. Damit begann die Widerrufsfrist nicht zu laufen und der Verbraucher kann jetzt noch den Darlehensvertrag widerrufen.

Leider handelte es sich nicht nur um irgendeine Widerrufsbelehrung, sondern um die Widerrufsbelehrung, die zumindest für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge vom 13. Juni 2014 bis 20. März 2016 als Musterwiderrufsinformation gültig war (siehe unten).

Von Saarlouis über Saarbrücken nach Luxemburg (der Fall in Kürze)

Die Kreissparkasse Saarlouis schloss im Jahr 2012 mit einem Verbraucher einen grundpfandrechtlich gesicherten Darlehensvertrag über EUR 100.000 mit einem bis zum 30. November 2021 gebundenen Sollzinssatz von 3,61 % pro Jahr. Die Kreissparkasse Saarlouis belehrte ihren Kunden entsprechend ihrer üblichen Widerrufsbelehrung.

Am 30. Januar 2016 erklärte der Kunde dann den Widerruf des Darlehensvertrages.

Nach dem Widerruf erhob der Kunde Klage beim Landgericht Saarbrücken auf Feststellung, dass, vereinfacht ausgedrückt, der Kreissparkasse Saarlouis kein Anspruch auf Vertragszins und vertragsgemäße Tilgung seit dem Widerruf zusteht.

Das Landgericht Saarbrücken hatte Zweifel, wie die Regelungen hinsichtlich der Widerrufsbelehrung europarechtlich auszulegen sind, setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH am 17. Januar 2019 mehrere Fragen vor. Damit stellte sich das Landgericht Saarbrücken gegen die derzeitige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.

Streitpunkt: Der Kaskadenverweis

Streitpunkt ist, ob ein sogenannter Kaskadenverweis den europarechtlichen Anforderungen genügt.

Was ist ein Kaskadenverweis?

Zur Verdeutlichung: Die Kreissparkasse Saarlouis belehrte den Kunden mit folgender Widerrufsbelehrung:

Der Darlehnsnehmer kann seine Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E‑Mail) widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehnsnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB (z. B. Angaben zur Art des Darlehens, Angaben zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat.

Die Widerrufsbelehrung verweist für den Beginn der Frist auf Pflichtangaben gemäß § 492 Abs. 2 BGB, der folgendermaßen lautet:

Der Vertrag muss die für den Verbraucherdarlehensvertrag vorgeschriebenen Angaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche enthalten.

Man sieht, dass die Belehrung erst auf ein Gesetz (BGB) verweist, welches wiederum auf ein anderes Gesetz (EGBGB) verweist, ein sogenannter Kaskadenverweis.

In Artikel 247 §§ 6 bis 13 EGBGB sind eine Vielzahl von Pflichtangaben enthalten, wie Name und Anschrift des Darlehensgebers, Art des Darlehens, effektiver Jahreszins etc. Insgesamt sind es, abhängig von der Art des Darlehens, ca. 20 Angaben.

Der Bundesgerichtshof hat bereits 2016 den Kaskadenverweis in Widerrufsbelehrungen für zulässig erklärt.

Der Kaskadenverweis war bzw. ist in den jeweiligen Musterwiderrufsinformationen für Verbraucherdarlehen enthalten, weshalb diese Menge an Verträgen betroffen ist.

Was sind Musterwiderrufsinformationen?

Um den Banken die Widerrufsbelehrung zu erleichtern, hat der deutsche Gesetzgeber Musterwiderrufsinformationen erlassen. Solange die jeweilige Bank diese Widerrufsinformationen verwendet, erfüllt sie die Anforderungen an eine wirksame Widerrufsbelehrung. Aus diesem Grund haben sich sämtliche Banken an diesen Musterwiderrufsinformationen orientiert.

Es gibt zwei Arten von Musterwiderrufsinformationen:

  • Musterwiderrufsinformationen für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge; und
  • Musterwiderrufsinformationen für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge.

Die Musterwiderrufsinformationen werden laufend geändert.

Einen Kaskadenverweis enthielten die Musterwiderrufsinformationen für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge vom 30. Juli 2010 bis 20. März 2016. Seit dem 21. März 2016 enthalten sie keinen Kaskadenverweis mehr.

Die aktuellen Musterwiderrufsinformationen für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge enthalten ebenfalls einen Kaskadenverweis.

EuGH wendet sich gegen Kaskadenverweis

Nach Europarecht muss eine Widerrufsbelehrung in klarer und prägnanter Form angeben, ob ein Widerrufsrecht besteht, und Angaben hinsichtlich der Frist und die anderen Modalitäten für die Ausübung des Widerrufsrechts enthalten. Maßstab ist, ob die Information klar und prägnant ist.

Der EuGH macht in seiner Entscheidung insbesondere zwei Aussagen:

Erstens: Die Widerrufsbelehrung muss auch über die vorgesehenen Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist in klarer und prägnanter Form informieren.

Zweitens: Der Kaskadenverweis in der Widerrufsbelehrung erfüllt nicht die Anforderungen an eine klare und prägnante Information für die Berechnung der Widerrufsfrist. Möchte der Verbraucher feststellen, ob die Widerrufsfrist begonnen hat, müsste er sich mehrere Gesetze zur Hand nehmen, die Pflichtangaben der Gesetze entnehmen und prüfen, welche der Pflichtangaben noch nicht im vorliegenden Vertrag erfüllt sind. Dies ist nach Ansicht des EuGHs nicht klar und prägnant.

Folgen

Für die deutschen Banken hat die Entscheidung des EuGHs weitreichende Folgen.

Dafür muss man sich nochmals die Folgen einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung vor Augen führen. Die Frist zum Widerruf beginnt nicht zu laufen. Daher kann grundsätzlich der Widerruf auch Jahre später erklärt werden.

Der Kunde muss bei einem erklärten Widerruf das Darlehen sofort zurückzahlen, kann aber aufgrund der günstigen Zinssituation „faktisch“ günstig umschulden, indem er ein günstigeres Darlehen aufnimmt. Die Verbraucherzentrale Hamburg liefert ein konkretes Beispiel: Bei einem Darlehenszins von 1,5 statt 4,5 Prozent kann der Kunde bei einer Restschuld von 180.000 Euro und einer Restlaufzeit von rund viereinhalb Jahren etwa 24.000 Euro sparen.

Die vorliegende Entscheidung betrifft eine unüberschaubare Menge an Darlehensverträgen, da die meisten Musterwiderrufsinformationen den Kaskadenverweis enthalten.

Wie geht es weiter?

Das lässt sich jetzt schwer sagen. Schon werden erste Stimmen von Bankenverbänden laut, die eine Einschaltung der Politik fordern. Auch bleibt abzuwarten, wie die weiteren Instanzen nach dem Landgericht Saarbrücken, insbesondere der Bundesgerichtshof mit dem EuGH-Urteil umgehen.

Sicher ist nur, dass dies eine Welle von Klagen mit dem Thema „Widerrufsbelehrung“ auslösen wird.

 

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