Der Siegeszug des Zielmarktes – Überwachung und Governance von Bankprodukten

Der Siegeszug des Zielmarktes - Überwachung und Governance von Bankprodukten | Annerton Anwalt Joerg Streissle

BaFin veröffentlicht Rundschreiben zur Überwachung und Governance von Bankprodukten

Mit Rundschreiben 08/2023 hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht („BaFin“) die Leitlinien der Europäischen Bankenaufsicht („EBA“) für die Überwachung und Governance von Bankprodukten in ihre Aufsichtspraxis übernommen.

Zielmarkt als Dreh- und Angelpunkt

Dreh- und Angelpunkt des neuen Rundschreibens ist der Zielmarkt, ein aufsichtsrechtliches Instrumentarium, das bislang nur aus dem Bereich des Wertpapierrechts bekannt war. Nunmehr soll dieses Instrumentarium auf quasi die gesamte Palette an Bankprodukten, Zahlungsdiensten und E-Geld-Produkten, soweit sie Verbrauchern angeboten werden, ausgerollt werden, nämlich auf Immobiliar- und Allgemein-Verbraucherdarlehen, Einlagen, Bausparverträge, E-Geld und Zahlungskonten, -dienste und -instrumente.

Hersteller und Vertreiben als Verpflichtete

Verpflichtete nach dem Rundschreiben sind in erster Linie die Produkthersteller. An sie richtet die BaFin acht der insgesamt zwölf Leitlinien. Produkthersteller im Sinne des Rundschreibens sind CRR-Kreditinstitute, Zahlungsinstitute und E-Geld-Institute, die Produkte, die Verbrauchern angeboten werden, konzipieren, mithin solche Produkte entwerfen, entwickeln, kombinieren oder erheblich verändern.

Weitere Adressaten sind Unternehmen, die Produkte im Sinne des Rundschreibens Verbrauchern anbieten und / oder verkaufen („Produktvertreiber“). Hersteller können auch zugleich Produktvertreiber sein; Verpflichtete sind dann die mit den jeweiligen Aufgaben betrauten Unternehmensbereiche. Wirkt ein Vertreiber an der Produktkonzeption mit erheblichem Gestaltungsspielraum mit, kann er sich zugleich auch als Hersteller qualifizieren.

Der Zielmarkt

Unter Zielmarkt versteht das Rundschreiben die Gruppe bzw. Gruppen von Verbrauchern, für die ein Produkt konzipiert wird.

Bei der Konzeption hat der Hersteller sicherzustellen, dass sein Produkt für die Interessen, Ziele und Eigenschaften des von ihm definierten Zielmarktes geeignet ist. Ein maßgebliches Kriterium für die Bestimmung dieser Geeignetheit ist die finanzielle Leistungsfähigkeit des Zielmarktes.

Nicht zulässig ist die Herstellung von Produkten, deren Merkmale, Kosten und Risiken den Interessen, Zielen und Eigenschaften des jeweiligen Zielmarktes nicht entsprechen oder keinen Nutzen für den Zielmarkt haben. Gleiches gilt für eine zu hohe Anzahl von Produktvarianten, die den Verbraucher eher verwirren denn sinnhafte Produktalternativen bieten.

Negativer Zielmarkt

Der Hersteller muss auch die Marktsegmente bestimmen, deren Interessen, Zielen und Eigenschaften das Produkt nicht entsprechen dürfte.

Tests und laufende Überwachung

Vor der Markteinführung eines Produkts hat der Hersteller Produkttests durchzuführen und durchzuspielen, wie sich das Produkt unter einer Vielzahl von Szenarien auf die Verbraucher des definierten Zielmarktes auswirkt. Hierbei sind auch Stressszenarien zu berücksichtigen. Der Markteinführung steht die Veränderung oder Einführung eines bestehenden Produktes auf einem neuen Zielmarkt gleich.

Auch nach Markteinführung muss der Hersteller die Wirkung und das Verhaltes des Produkts auf dem Zielmarkt verfolgen und bei auftretenden Problemen Abhilfe leisten.

Einbettung in das OpRisk Management nach MaRisk

Mehrfach verweist die BaFin darauf, dass die Governance-Regeln nach diesem Rundschreiben in das allgemeine Risiko Management einzubinden sind. Dies gilt insbesondere für den Neu-Produkt-Prozess nach AT 8.1 der Mindestanforderungen an das Risikomanagement („MaRisk“) und die Verantwortlichkeiten der Risikocontrolling- und Compliance Funktion nach AT 4.4 der MaRisk. Im Falle einer Auslagerung von Tätigkeiten der Produktherstellung oder des -vertriebs sind die Anforderungen nach AT 9 der MaRisk zu erfüllen.

Vor dem Hintergrund der jüngsten Veröffentlichung des Entwurfes für die ZAG-MaRisk richten sich diese Hinweise auch an Zahlungs- und E-Geld-Institute (Verweis auf PTL-Blogs zur ZAG-MaRisk).

Auswahl und Überwachung der Vertriebskanäle

Ein Hersteller darf sich zum Vertrieb seiner Produkte nur Vertriebskanäle bedienen, die für den betreffenden Zielmarkt geeignet sind und Gewähr dafür bieten, dass die Produkte im Wesentlichen den geplanten Zielmarkt erreichen und in Einklang mit den Anforderungen nach diesem Rundschreiben vertrieben werden.

Hierfür muss der Hersteller die Aktivitäten der von ihm beauftragten Vertriebskanäle laufend überwachen und ihnen hinreichende Informationen zu den Produkten zur Verfügung stellen.

Anforderungen an den Vertrieb

Im Gegensatz zu Vertriebsunternehmen von Finanzinstrumenten muss der Vertreiber von Bankprodukten keine eigene Zielmarktdefinition vornehmen. Er ist vielmehr an den vom Hersteller vorgegebenen Zielmarkt gebunden und im Verkauf der Produkte auf Verbraucher, die dem Zielmarkt angehören, beschränkt. Ein Vertrieb außerhalb des Zielmarktes ist nur in begründeten Fällen zulässig. Im negativen Zielmarkt dürfte er per se unzulässig sein.

Allgemein hat der Vertreiber durch die Implementierung entsprechender Prozesse sicherzustellen, dass bei der Markteinführung von Produkten den Interessen, Zielen und Eigenschaften von Verbrauchern in angemessener Weise entsprochen  und potentieller Schaden von Verbrauchern vermieden wird und Interessenkonflikte so gering wie möglich gehalten werden. Die Anforderungen an den Vertreib von ‚allgemeinen Bankprodukten‘ werden damit den Wohlverhaltenspflichten des Wertpapierhandels­rechts angeglichen.

Vertreiber sind verpflichtet, ihre Erfahrungen mit den einzelnen Produkten mit deren Hersteller zu teilen und diese entsprechend bei der Produktüberwachung zu unterstützen.

Dokumentationspflichten

Sowohl Hersteller als auch Vertreiber müssen die von ihnen ergriffenen Maßnahmen in Bezug auf die Produktüberwachung und Governance hinreichend dokumentieren. Die Dokumentation ist mindestens fünf Jahre aufzubewahren und der BaFin auf Anfrage vorzulegen. Maßgebliche Verantwortlichkeiten sind der oberen Leistungsebene, mithin der Geschäftsleitung eines Instituts, vorbehalten.

Inkraftreten

Das Rundschreiben tritt am 01. Mai 2024 in Kraft. Die Anforderungen gelten nach dem Inkrafttreten für alle Produkte, die in den Markt neu eingeführt oder – soweit sie bereits eingeführt sind – erheblich verändert werden.



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