In meinem vorigen Beitrag bin ich auf die Probleme eingegangen, die sich durch die Methodik und Definitionen der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen „Regulation on Markets in Crypto-assets“ (kurz MiCAR genannt) ergeben.1 Insbesondere der Artikel 2 führt zu Abgrenzungsfragen zu den bereits regulierten Geldarten Giralgeld (Buchgeld) und E-Geld. Heute möchte ich auf eine der Abgrenzungsfragen eingehen. Unter welchen Voraussetzungen sind Sichteinlagen, die als dezentrale Konten auf der Blockchain geführt werden, Kryptowerte gemäß der MiCAR? Handelt es sich hier nicht um E-Geld-Token (EGT)? Ist der in der Literatur bereits verwendete Begriff „tokenisiertes Giralgeld“ kein Widerspruch in sich? Kann ein Konto gleichzeitig Token sein?
Tokenisiertes Giralgeld: Herkömmliches Einlagengeschäft oder E-Money-Token?
Viele Banken planen derzeit die „Tokenisierung“ kontenbasierter Einlagen (Stichwort: tokenisiertes Geschäftsbankengeld oder Giralgeld). Das bedeutet nicht, dass die bisherigen Girokonten statt zentraler Kontenführung dezentralisiert auf die Blockchain gesetzt werden. Aus heutiger Sicht wäre das zwar „cool“ und innovativ, aber kein Effizienzgewinn. Das Ziel ist vielmehr die zusätzliche Schaffung eines programmierbaren Geldes, das im Rahmen von Smart Contracts verwendet werden kann. Die erwarteten Anwendungsfälle sind vielfältig: Maschine-zu-Maschine-Zahlungen (M2M), Zahlungen in der IoT-Welt, Micro-Payments (pay-per-use) usw. Die Banken möchten nicht auf den für irgendwann angekündigten digitalen Euro als CBDC (Central Bank Digital Currency) warten. Außerdem ist es fraglich, ob sich die geplante Gestaltung des digitalen Euros (kontenbasiert und/oder als Inhaberinstrument ohne erforderliche Nutzung der DLT) durch die EZB als programmierbares Geld eignet. Die Banken wollen außerdem verhindern, dass irgendwelche Fin- oder BigTechs ein zu großes Stück von dem erhofften Kuchen abbekommen.
Wenn man nun davon ausgeht, dass eine Bank oder eine Gruppe von Banken das programmierbare Geld als Kryptowerte unter Verwendung der DLT oder ähnlicher Technologie (gemäß der MiCAR-Definition) anbietet, stellt sich die Frage, ob und in welchen Fällen die MiCAR angewendet werden muss oder ob die bisherigen Vorschriften für herkömmliche Sichteinlagen gelten. Die MiCAR bietet dazu leider keine deutliche Antwort. Sie besagt nur, dass die Regulierung nicht für Kryptowerte angewendet werden soll, die als Einlagen im Sinne von Art. 2 Absatz 1 Nummer 3 der Richtlinie 2014/49/EU zu qualifizieren sind. Diese Richtlinie bezieht sich auf Einlagen (darunter auch Sichteinlagen), die unter die Einlagensicherungssysteme fallen. Eine Einlage ist hier wie folgt definiert:
„Ein Guthaben, das sich aus auf einem Konto verbliebenen Beträgen oder aus Zwischenpositionen im Rahmen von normalen Bankgeschäften ergibt und vom Kreditinstitut nach den geltenden gesetzlichen und vertraglichen Bedingungen zurückzuzahlen ist, einschließlich einer Festgeldeinlage und einer Spareinlage, […]“
(anschließend folgen eine Reihe von Ausnahmen, die in diesem Kontext nicht relevant sind).
Herkömmliches Einlagengeschäft?
Eine Einlage bei einer Bank ist demnach in der Regel kontenbasiert. Es stellt sich folgende Frage: Muss ein Konto zentral bei einem Kreditinstitut (central ledger) geführt werden oder sprechen wir weiterhin von einer Einlage im Sinne der obengenannte Direktive, wenn das Guthaben dezentralisiert auf einem „distrubuted ledger“ registriert wird? Ist der Begriff „tokenisiertes Giralgeld“ ein Widerspruch in sich?
Nun suggeriert der Begriff „Token“ (übrigens in der MiCAR leider nicht definiert), wie auch „Coin“ (z. B. im Sinne eines stablecoins) ein digitales Inhaberinstrument, das ähnlich wie Bargeld digital den Besitzer wechselt. In den meisten Fällen handelt es sich bei Kryptowerten aber gerade nicht um Inhaberinstrumente, sondern um eine dezentralisierte Registrierung bzw. Kontoführung und Kontostandvalidierung durch eine Vielzahl von Instanzen („Validators“). Die vielfach in den einschlägigen Krypto-Veröffentlichungen benutzte Gegenüberstellung von „account-based“ versus „token-based“ ist irreführend, oder zumindest verwirrend, es sei denn, man versteht unter token-based ein „bearer-based digital asset“, wie die ECB in ihrem „Report on a digital euro“ (2020). In der Regel sind die als Token bezeichneten Kryptowerte auf Basis der DLT aber (dezentral) kontenbasiert.2 Bei den von den Banken geplanten „tokenisierten“ Konten handelt es sich weiterhin um Konten, aber auch im Sinne der obengenannten Definition der Einlagen? „The only difference between a traditional account-based system and a blockchain is that the accounts are not kept in a central database but in a decentralised append-only database“(Chaum, Grothoff and Moser 3). Damit wäre die technische Einordnung geklärt, aber auch die juristische?
Giralgeld – und damit auch Sichteinlagen – unterlag in der Geldgeschichte schon manchen technischen Innovationen von schriftlichen Eintragungen in Büchern (Buchgeld) bis hin zur völligen Digitalisierung auf irgendwelchen Backend-Servern. Die Konten als Verzeichnis der Forderungen und Verbindlichkeiten zwischen der Bank und dem Kontoinhaber, wurden aber bislang immer – unabhängig von der technischen Gestaltung – von der Bank als zentraler Instanz geführt: Durchführung von Zahlungsvorgängen, Stornos, Validierung des Kontostandes usw. Diese Aufgaben werden jetzt bei einem DLT-Konto größtenteils von einer Vielzahl von anderen Parteien gegebenenfalls ohne vertragliche Beziehung zum Kryptowert-Herausgeber (non-permissioned ledger) durchgeführt. Die Kontoführung wird quasi outgesourct.
Eine Vielzahl Fragen tauchen auf, wie z. B.: Welche Auflagen muss die Bank erfüllen und welche Verpflichtungen übernehmen, damit sie weiterhin Herr des Geschehens ist? Ist eine übergeordnete haftende Instanz als „central issuer“ erforderlich, wenn mehrere Banken beteiligt sind? Unter welchen Vorschriften fallen die neuen Arten von Anbietern von Krypto-Dienstleistungen, die zwar in der MiCAR detailliert gelistet sind, aber in der PSD2 fehlen? Zusammengefasst: Erfüllt ein „distributed ledger account“ die bisherigen Kriterien eines herkömmlichen Girokontos oder gibt es – so die Schlussfolgerung eines IMF Working Papers ein „fundamental distinction between the two concepts“4? Kurzum: Passt der neue Wein in alte Schläuche?
Oder doch E-Money Token?
Die Planungen der Banken gehen bislang dahin, dass diese DLT-Konten für bestimmte Anwendungen (z. B. in Kombination mit Zahlungen, die aus Smart Contracts resultieren) und bestimmte Kundensegmente parallel, aber interoperabel zu den herkömmlichen Zahlungskonten angeboten werden. Ohne DLT wird ein derartiger Parallelkontenkreislauf (Einzahlungen mittels herkömmlicher Konten) in der Regel regulatorisch als E-Geld eingestuft. Bedingt durch die definitorische Öffnung des E-Geldes als Inhaberinstrument (das genuine „Token“) um kontenbasiertes E-Geld, ist die Abgrenzung zwischen kontenbasiertem E-Geld und Sichteinlagen, vor allem wenn beide Kontenarten bei einer Bank geführt werden, in der Praxis schwierig.5
Eine etwaige Verzinsung (Einlagen: erlaubt; E-Geld: nicht erlaubt; by the way: Was ist mit Negativzinsen?) scheidet als Abgrenzungsmerkmal in der heutigen Zeit aus. Für viele Aufsichtsbehörden ist die unmittelbare Anwendung der Zahlungskonten im Interbankenzahlungsverkehr, z.B. durch die unmittelbare Nutzung der Interbank-Zahlungsinstrumente wie SDD und SCT, ein Kriterium für die rechtliche Einstufung als Sichteinlagen bzw. Giralgeld. E-Geld-Konten bilden dagegen in der Regel (mit Ausnahme des E-Geldes in Form von prepaid Kreditkarten) einen geschlossenen Kreislauf. Die Nutzung des E-Geldes im Interbankenzahlungsverkehr kann nur über eine Brücke erfolgen (faktisch: Tausch zwischen zwei Geldarten durch Auszahlung vom E-Geld-Konto und Einzahlung auf Girokonto und vice versa). Unter der realistischen Annahme, dass die dezentralen DLT-Konten einen inselartigen Parallelkreislauf, der über Brücken mit dem Festland verbunden ist, bilden, ist eine aufsichtsrechtliche Einstufung als EGT naheliegend und aus systemischer Sicht eigentlich zwingend.6 Der heute verwendete Begriff „tokenisiertes Giralgeld“ wäre zumindest für die Übergangsphase der Ko-Existenz in sich widersprüchlich. Tokenisiertes Geschäftsbankengeld ist zwar auch nicht präzise, würde aber besser passen. Die Umdeutung des Wortes „Token“ für dezentralisierte DLT-Registrierungen von Guthabenpositionen lässt sich in der Kryptowelt leider nicht mehr rückgängig machen.
Worin würde technisch und juristisch der Unterschied zwischen einem Kryptowert, der gemäß Art. 2 als Einlage von der MiCAR ausgenommen wird, und einem von einer Bank herausgegebenem EGT, das die Anforderungen der MiCAR erfüllt, noch bestehen? Handelt es sich nicht um gleiche Produkte? Same product, same rules? Nun, in welches aufsichtsrechtliche Töpfchen fallen diese Kryptowerte in Form von kontenbasiertem DLT-Geschäftsbankengeld? Gelten auch für dieses Produkt die MiCAR-Anforderungen für EGT?
Ein weiteres Argument für die Einstufung des kontenbasierten DLT-Geschäftsbankengeldes als EGT ist das erklärte Ziel der MiCAR, „any definition of ‘e-money tokens’ should be as wide as possible to capture all the types of crypto-assets referencing one single fiat currency” (Erwägungsgrund 10).
Die Antwort auf die Frage nach der Einstufung ist vielleicht noch verfrüht, solange die MiCAR nicht in ihrer Endfassung vorliegt. Bis dahin bleibt für die Banken noch Zeit, diese wichtige Frage zu klären, denn es ist keineswegs eine rein akademische Frage. Die Einstufung als EGT hätte für die herausgebenden Banken auf Grund der heutigen Entwurfsversion der MiCAR erhebliche Konsequenzen. So würden gemäß Art. 43 (1b) der MiCAR mehrere Vorschriften der EMD2 (Titel I und II), die bei der Herausgabe des traditionellen E-Geldes nur für E-Geld-Institute relevant sind (wie z. B. Eigenmittelvorschriften), bei der Ausgabe von EMT auch für Kreditinstitute gelten.
Es ist bemerkenswert, dass die Deutsche Bundesbank in einem vor kurzem veröffentlichten Bericht das „tokenisierte Geschäftsbankengeld“ ohne Diskussion unter „klassische Geldformen“ und nicht als „Krypto-Token“ einstuft und damit suggeriert, dass die MiCAR für diese Ausprägung des Giralgeldes keine Anwendung findet.7 Betreiben wir hier vielleicht eine Phantom-Diskussion?
P.S.: Falls Sie sich auch für die Frage interessieren, unter welchen Voraussetzungen E-Geld als herkömmliches E-Geld oder als E-Geld-Token(EGT) einzustufen ist, lesen Sie unseren 15-seitigen Kommentar zu MiCAR in der neuen Doppelausgabe des PaySys-Reports (Nr. 2-3/2021) 8
1 https://paytechlaw.com/kryptowerte-fiatgeld-anmerkungen-micar/
2 Es stellt sich sogar die Frage, ob die üblichen DLT-Protokolle für echte digital bearer instruments geeignet sind. See ECB, Report on a digital euro, October 2020, p. 30.
3 David Chaum, Christian Grothoff and Thomas Moser, How to issue a central bank digital currency, SNB Working Papers 3/2021, p. 9
4 IMF Working Paper WP/20/254, Legal aspects of Central Bank Currency: Central Bank and Monetary Law Considerations, November 2020, p. 12.
5 Siehe auch Podcast “PayTechTalk” Nr. 58 mit Christian Walz und Hugo Godschalk:
https://paytechlaw.com/paytechtalk-58-einlagengeschaeft/
Die englische Aufsichtsbehörde FCA hat vor kurzem (18 May 2021) die E-Geld-Emittenten aufgefordert, ihre Kontoinhaber ausdrücklich über den Unterschied zwischen einem E-Geld-Konto und einem Girokonto (insbesondere in Hinblick auf die unterschiedlichen Sicherungsvorschriften) zu informieren. Für viele Kontoinhaber ist der Unterschied offensichtlich nicht ausreichend bekannt.
6 Der FinTechRat beim Bundesministerium der Finanzen geht in ihrer Stellungnahme “Der digitale, programmierbare Euro“ (01/2020) von einer Einstufung als E-Geld aus. Siehe S. 12-13. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Stellungnahme allerdings der MiCAR-Entwurf der Kommission noch nicht vor.
7 Siehe Deutsche Bundesbank, Digitales Geld: Optionen für den Zahlungsverkehr, in: Monatsbericht April 2021, S. 69f. und S. 72.
8 https://paysys.de/paysys-report/
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