Gar zum Ende vor dem eigentlichen Start von Smart Contracts wurde das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 26.10.2022 hochstilisiert. Tatsächlich fällte der 12. Zivilsenat jedoch lediglich einer vornehmlich auf den Besonderheiten des Einzelfalles beruhende Abwägungsentscheidung. Wegweisend ist die Entscheidung allenfalls dahingehend, dass sie gerade nicht bahnbrechend ist, keiner lex smart contract den Weg bereitet und die weitere Entwicklung des Rechts der Smart Contracts wohl noch einer Vielzahl an Einzelentscheidungen überlässt.
Table of Contents
Gegenstand der Entscheidung
Der BGH hatte über die Wirksamkeit einer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu befinden. Verwender der Klausel war die Renault Bank, die Finanzierungsgesellschaft des gleichnamigen französischen Autobauers. Unter anderem vermietet die Renault Bank Batterien für E-Autos von Renault. Das mit der Mietbatterie betriebene E-Auto selbst ist nicht Gegenstand des Mietvertrages, sondern wird vom Mieter der Batterie gesondert gekauft, gemietet oder geleast. Mit Batterien anderer Hersteller lassen sich die E-Autos von Renault nicht betreiben.
Die streitgegenständliche Klausel sah vor, dass die Renault Bank im Nachgang zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietvertrages berechtigt sei, die Wiederauflademöglichkeit der Batterie zu sperren. Wie schon die Vorinstanzen sah auch der BGH die Klausel als unangemessene Benachteiligung des Mieters und somit als unwirksam an.
Entzug des Besitzes
Das Gericht der Vorinstanz, das Oberlandesgericht Düsseldorf, begründete seine Entscheidung damit, dass in der Sperrung der Wiederauflademöglichkeit eine Störung des Besitzes an der Batterie, in der juristischen Fachsprache auf ‚verbotene Eigenmacht‘ genannt, seitens der Renault Bank, vorliege. Besitzer der Batterie sei, bis zur Rückgabe an die Renault Bank, der Mieter. Die Kündigung des Mietvertrages ändere hieran nichts. Zwar befinde sich die Batterie auch nach der Sperre in seiner physischen Gewalt. Die tatsächliche Sachherrschaft, mithin der Besitz, gehe jedoch hierüber hinaus und umfasse auch die Möglichkeit der Nutzung. Diese werde dem Mieter durch die Sperre entzogen, so dass der Besitz an der Batterie für ihn letztendlich nutzlos werde.
Der BGH lässt die Frage der verbotenen Eigenmacht ausdrücklich dahingestellt. Zwar bejaht auch er eine Besitzbeeinträchtigung. Interessanterweise begründet er diese jedoch anders als das OLG Düsseldorf. Der BGH stellt weniger auf den Entzug der bestimmungsgemäßen Nutzbarkeit der Batterie denn auf den Zugriff auf die Batterie zur Einrichtung der Sperre ab. Mit der damit bewirkten Änderung der Konfiguration der Batterie wirke die Bank auf deren Sachsubstanz ein, was die Besitzstörung begründe.
Allein die Frage, ob die Bank infolge der technischen Sperrmöglichkeit Mitbesitzer der Batterie sei, was eine verbotene Eigenmacht ausschließe, ließ der BGH offen.
Unangemessene Hebelwirkung
Der BGH begründet seine Entscheidung vielmehr mietrechtlich. Er stellt die Interessen des Mieters denen der Bank als Vermieter gegenüber. Der Mieter könne trotz der Kündigung ein berechtigtes Interesse an der Weiternutzung der Batterie haben; zum Beispiel, wenn er die Wirksamkeit der Kündigung bestreite. Das Gesetz sähe in diesem Fall die Klagelast, nämlich auf Herausgabe, beim Vermieter. Diese werde hier umgekehrt und entgegen dem gesetzlichen Leitbild dem Mieter aufgebürdet. Der Vermieter hingegen sei gegen die Weiternutzung des Mietobjektes auch nach Kündigung durch einen entsprechenden Entschädigungsanspruch, den er sich durch eine Mietkaution absichern lassen könne, hinreichend geschützt.
Ausschlaggebend dürfte im vorliegenden Fall letztendlich gewesen sein, dass mit der Sperre nicht nur die Batterie, sondern das gesamte E-Auto des Mieters „lahmgelegt“ wird. Wegen der Herstellergebundenheit der Batterie könne die gesperrte Batterie nicht durch ein anderes Fabrikat ersetzt werden. Damit gehe die Wirkung der Sperre weit über das Mietobjekt hinaus und erfasse zur Gänze auch das erheblich wertvollere E-Auto. Dies könne durch die Interessen des Vermieters nicht mehr als gerechtfertigt angesehen werden.
Keine Privilegierung von Smart Contracts
Mit jeweils einem Federstrich wischen sowohl das OLG Düsseldorf als auch der BGH eine Privilegierung von Smart Contracts vom Tisch.
Was sind Smart Contracts?
Der Begriff des Smart Contract ist nicht gesetzlich definiert. Verwandt wird der Begriff zur Beschreibung eines sich selbst vollziehenden Systems (vermeintlich) getroffener Abreden. Erkennt ein Algorithmus den Eintritt eines bestimmten Lebensumstandes, wird automatisiert und ohne weiteres Zutun die hierfür hinterlegte Rechtsfolge angestoßen; im vorliegenden Fall die Sperre der Auflademöglichkeit der Batterie 14 Tage nach Kündigung des Mietvertrages. Eine Berücksichtigung von nicht im Code hinterlegten Lebenssachverhalten, insbesondere im Rahmen einer wertenden Gesamtschau, erfolgt (naturgemäß) nicht.
Während im vorliegenden Fall das Verhältnis zwischen Lebenssachverhalt (Kündigung) und automatisierter Rechtsfolge (Sperre) relativ einfach ist, sind Smart Contracts in der Lage, auch höchstkomplexe und vielschichtige Regelungswerke einem automatisierten Vollzug zuzuführen. Ein Paradebeispiel hierfür sind Decentralized Autonomous Organizations (DAO), die die gegenseitige Rechtsbeziehung ihrer letztendlich unbegrenzten Vielzahl an Mitgliedern umsetzen.
Entscheidungen auf analogem Boden
Für das OLG Düsseldorf war die Frage, ob die Sperre automatisch „mit Hilfe einer sog. Blockchain“ oder klassisch analog durch einen Mitarbeiter eingerichtet wird, nur einen Satz wert und von keiner Relevanz. Es traf insofern noch nicht einmal die Feststellung, welcher Fall im Konkreten vorlag.
Der BGH schloss sich dieser Auffassung an und begründete sie damit, dass die hinter einem automatisierten Eingriff konzipierte Technik auf den Vermieter als Verwender der strittigen AGB-Klausel zurückzuführen sei. Insofern bestehe kein Grund für eine rechtliche Differenzierung zwischen einem manuellen oder automatisiert durchgeführten Eingriff. Mit den Besonderheiten des Internets der Dinge und der grundlegenden Frage, ob die mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) vor mehr als 100 Jahren getroffenen Wertungen hierfür (noch) angemessen sind, setzt sich aber auch der BGH mit keinem Wort auseinander.
Keine Sonderlocken für die virtuelle Welt
Wegweisend ist das Urteil insofern, als dass der BGH eindeutig klarstellt, dass für die virtuelle Welt nichts anderes gilt als wie für die Analoge. Einem Smart Contract hinterlegte Algorithmen müssen demnach in der Lage sein, die konkreten Besonderheiten des Einzelfalles ebenso angemessen zu berücksichtigen, wie dies von AGB-Klauseln verlangt wird. Somit bleibt erstmal „Alles beim alten!“
Nutzer von Smart Contracts sollten daher unbedingt mögliche Härtefälle identifizieren und einer differenzierenden und umsichtigen Regelung zuführen.
Auch die weite Definition der verbotenen Eigenmacht durch den BGH legt nahe, dass er gerade nicht gewillt ist, zwischen remote elektronisch und präsent physisch vorgenommenen Einwirkungen auf einen Gegenstand zu unterscheiden. Weniger das Medium bzw. die Art und Weise als vielmehr die Wirkung scheint für den BGH zu zählen.
Der vorausgesagte Bedeutungsverlust des Sachenrechts, letztendlich des juristischen „Klassikers“ der analogen Welt, wird zumindest durch das vorliegende Urteil nicht eingeläutet.
Weitere Entwicklung offen
Das vorliegende Urteil stellt aber auch bei Weitem nicht das Ende der Fahnenstange dar. Indem der BGH seine Entscheidung letztendlich auf die Besonderheiten des konkreten Einzelfalles abstellt, lässt er sich sämtliche Türen offen. Gerade weil der BGH so eng an der gesetzlichen Ausgestaltung des Besitzes argumentiert, dürfte für zukünftige Entscheidungen die konkrete Ausgestaltung der automatisierten Ferneinwirkung auf einen Vertragsgegenstand oder auch eine Leistung von Bedeutung sein. Es darf die Frage gestellt werden, ob der BGH auch dann von verbotener Eigenmacht ausgegangen wäre, wenn die Batterie so konfiguriert gewesen wäre, dass die grundsätzlich gegebene Möglichkeit ihrer Aufladung nicht gesperrt wird, sondern vielmehr jeder Aufladevorgang zunächst einer Entsperrung durch die Bank bedürft und diese nach erfolgter Kündigung einfach nicht mehr entsperrt hätte.
Der Fantasie sind hier allenfalls sehr weite Grenzen gesetzt. Die weitere Entwicklung darf mit Spannung verfolgt werden.