Der Negativzins ist tot; es lebe der Negativzins?
Mit zwei nunmehr veröffentlichten Entscheidungen vom 04. Februar 2025 (XI ZR 65/23 und XI ZR 61/23), die nunmehr veröffentlicht sind, urteilte der Bankensenat des Bundesgerichtshofs über zwei AGB-Klauseln, auf Basis derer die beklagten Banken von Privatkunden Negativzinsen in Gestalt von Verwahrentgelten vereinnahmt hatten. Beide Klauseln, so der Senat, seien mangels hinreichender Transparenz unwirksam.
Inhaltsverzeichnis
Verwahrentgelte für Guthaben über einem Freibetrag
Beide beklagten Banken erhoben für Guthaben auf Girokonten, die Freibeträge von EUR 5.000 bzw. EUR 10.000 überstiegen, ein „Verwahrentgelt“ in Höhe von 0,70 % p.a. bzw. 0,50% p.a. In einem Fall war die Erhebung des Verwahrentgeltes beschränkt auf Fälle von ausschließlich neueröffneten Konten und Wechseln des Kontomodells. Im anderen Fall auf die Fallkonstellationen „Neuanlage/Neuvereinbarung“.
Girovertrag mehr als nur ein Zahlungsdiensterahmenvertrag
Das Verwahrentgelt sieht der BGH als die Bepreisung einer Hauptleistung aus dem Girovertrag an.
Soweit die Bank aus einem Girovertrag verpflichtet ist, für ihren Kunden ein Zahlungskonto zu führen und Zahlungsaufträge auszuführen, sei dieser zwar Zahlungsdiensterahmenvertrag. Aus Sicht des BGH erschöpft sich hierin das Leistungsspektrum des Girovertrages jedoch nicht. Vielmehr handele es sich um einen typengemischten Vertrag, zu dem – je nach Kontostand – auch die Gewährung von Darlehen und die unregelmäßige Verwahrung gehören.
Gerade an der sicheren Aufbewahrung von Barguthaben habe der Kunde ein eigenständiges, von den Zahlungsdiensten losgelöstes Interesse, so dass die Verwahrung eine prägende Leistung aus dem Girovertrag sei. Hieran ändere weder die Pflicht des Kunden zur Leistung eines Vorschusses auf Zahlungen, mit denen er die Bank beauftragt, noch das Bestehen eines Guthabens als Voraussetzung für die Ausführung von Zahlungen sei, etwas. Letzteres mag zwar der Bankenpraxis entsprechen, gesetzlich verankert sei dies nicht. Eher im Gegenteil; Zahlungsinstitute ohne „Banklizenz“ dürften gar keine Einlagen entgegennehmen und würden trotzdem Zahlungsvorgänge ausführen.
Keine Inhaltskontrolle von Preisklauseln
Der BGH setzt seine bisherige Rechtsprechung fort, nach der lediglich Preisnebenabreden einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle unterworfen sind. Vertragliche Bestimmungen zur Regelung von Entgelten für Hauptleistungen sind hingegen einer Inhaltskontrolle entzogen. Konsequent wendet der Senat diesen Grundsatz an und enthält sich entsprechend einer inhaltlichen Überprüfung, ob die vorliegenden Entgeltklauseln die Kunden entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
Strenge Anforderungen an das Transparenzgebot
Einer Transparenzkontrolle sind AGB-basierte Entgeltregeln für Hauptleistungen hingegen nicht entzogen. Und genau hieran lässt der BGH die streitgegenständlichen Verwahrentgelte scheitern. Die angegriffenen Klauseln ließen nicht hinreichend genau erkennen, auf welches Guthaben der angegebene Zinssatz berechnet werde. Insbesondere sei unklar, ob die Berechnung des Verwahrentgelts taggenau erfolgen und bis zu welchem Zeitpunkt Tagesumsätze auf den Girokonten bei der Berechnung des maßgebenden Guthabensaldos berücksichtigt werden sollen. Die bloße Angabe der Höhe des Negativzinssatzes und den Schwellenwert, ab dem das Verwahrentgelt erhoben werde, versetze den Kunden weder in die Lage, die zu erwartenden finanziellen Belastungen vorab zu ermitteln noch die Höhe der erhobenen Entgelte zu überprüfen.
Die Formulierung „Neuanlage/Neuvereinbarung“ erachtete der BGH ebenfalls als intransparent. Sie sei geeignet, Bestandskunden vorzuspiegeln, dass bei Überschreiten des Schwellenwertes der Bank auch ohne vorherige beiderseitige Vereinbarung ein Verwahrentgelt zustünde.
Tür für zukünftige Negativentgelte steht offen
Entgegen vielen Unkenrufe macht der BGH mit den beiden Urteilen den Negativzins gerade nicht platt. Mit der Qualifikation der Verwahrleistung als Hauptleistungspflicht unter einem Girovertrag und dem entsprechend konsequenten Entzug des Verwahrentgeltes einer Inhaltskontrolle erhalten die beiden Urteile Banken vielmehr die Möglichkeit, in Zukunft rechtswirksam Verwahrentgelte zu erheben; so sie denn die Transparenzanforderungen hinreichend beachten.
Strahlkraft weit über Verwahrentgeltklauseln hinaus
Die vom BGH formulierten Anforderungen an die Transparenz der Klauseln sind keineswegs auf Verwahrentgeltklauseln beschränkt. Vielmehr geht deren Bedeutung weit über die vorliegende Thematik des Negativzinses hinaus. Die Urteilsbegründung lässt keinen Zweifel daran, dass – zumindest im „Hoheitsgebiet“ des XI. Zivilsenats, nämlich dem Bank-, Zahlungsverkehrs- und Wertpapierrecht – AGB-basierte Entgeltklauseln sehr detailliert alle preisrelevanten Faktoren zu benennen und einer klaren Regelung zuzuführen müssen. Solange die Bestimmung einzelner, wenn auch fern liegender preisrelevanter Parameter nicht eindeutig geregelt und mithin der einseitigen außervertraglichen Bestimmung des Verwenders überlassen sind, droht die Gefahr der Unwirksamkeit der gesamten Preisklausel.
Weitere Abmahnverfahren vorprogrammiert
Die Rigorosität, mit der der BGH hier das Transparenzgebot einfordert, wird Verbraucherschutzverbänden vielfach Anlass zu Abmahnungen und Unterlassungsklagen sein. Ganz zu schweigen von einer Flut von Rückforderungsansprüchen.