Das Zahlungszahlenwerk des Sachverständigenrats

Zahlungsverkehr Hugo

Das neue Jahresgutachten zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2024/2025 des Sachverständigenrats (SVR), das am 13. November 2024 dem Bundeskanzler übergeben wurde, enthält ein umfangreiches Kapitel mit dem Titel „Digitale Innovationen im Finanzsektor ermöglichen, Finanzstabilität sichern“.[1] Der Abschnitt ist durchaus lesenswert und lockert die Nackenmuskeln durch regelmäßiges Kopfnicken und -schütteln. Sie finden dort u.a. ein Plädoyer für die Nutzung der Finanzdaten zwischen BigTechs, FinTechs und old school Player, wie Banken sowie für die Einrichtung von „regulatory sandboxes“ zur Erleichterung der Umsetzung von Finanzinnovationen.

Mit dem Digitalen Euro gegen Oligopole

Die Pläne der EZB und Europäischen Kommission zur Einführung des Digitalen Euros (CBDC) werden wohlwollend unterstützt. Im Zahlungsmarkt, der „stark konzentriert“ ist, könnte – so der SVR – der D€ für etwas mehr Wettbewerb sorgen. Der SVR bescheinigt dem Zahlungsmarkt sogar eine „oligopolistische Struktur“ (RdNr. 277; S. 189): „Darauf deuten überdurchschnittliche Kapitalrenditen von Zahlungsdienstleistern hin.“ Das wäre zwar für die Zahlungsdienstleister (PSP), deren Anwälte und Berater eine erfreuliche Entwicklung, aber sind die angeblich gut gefüllten Kassen die Folge eines Oligopols – sprich unzureichender Wettbewerbsintensität? Werfen wir einen Blick in das Euclid-Register der EBA, das die Anzahl der in der EU zugelassenen Zahlungs- und E-Geldinstitute enthält: 923 Zahlungsinstitute und 368 E-Geldinstitute. Dazu kommen noch tausende Kreditinstitute, die Zahlungsdienste anbieten. Der europäische Zahlungsmarkt ist vermutlich näher am „ruinösen Wettbewerb“ statt am „Oligopol“. Und: Warum sollte der D€ hier zu noch mehr Wettbewerb führen? Vermutlich meint der SVR den Markt der „Payments Schemes“ bzw. der bargeldlosen Zahlungsverfahren und nicht den Markt der Zahlungsdienstleister. Ein Missverständnis als Folge begrifflicher Unschärfe halt.

Hochrechnung der Drei-Tagebücher

Endgültig gestolpert bin ich allerdings über eine zahlenmäßige „Unschärfe“. Der SVR beziffert das „Zahlungsvolumen in Deutschland“ 2023 am physischen Point-of-Sale auf ca. fast 1,1 Billionen Euro. Siehe Grafik. Im Hinblick auf die mutmaßliche Quelle und die Fußnote geht es hier präziser gesagt um das Zahlungsvolumen im In- und Ausland von privaten, in Deutschland situierten Haushalten.  Die Quelle ist eindeutig die regelmäßig stattfindende Umfrage der Bundesbank zum Zahlungsverhalten deutscher Haushalte[2], die zuletzt 2023 durchgeführt wurde. Die relativen Verhältnisse der verwendeten Zahlungsmittel am POS und Internet („Online“) entsprechen ziemlich genau dem Ergebnis der Tagebuchaufzeichnungen von ca. 4.000 Panel-Personen, die über 3 Tage ihr Zahlungsverhalten mit einem Gesamtvolumen von nahezu 700.000 Euro für die Bundesbank festhielten. Offensichtlich hat nun der SVR die relativen Verhältnisse der verschiedenen Zahlungsmittel am POS übernommen und mit einem Faktor X (ca. 3,2 Mio.) multipliziert und damit hochgerechnet. So werden aus ca. 92.300 Euro Bargeldzahlungen am POS (Panel) ca. 300 Mrd. €. Der angewendete Faktor X für die Hochrechnung wird nicht erläutert („eigene Berechnungen“), ist aber ziemlich entscheidend für die Realitätsnähe des Ergebnisses.

Das Zahlungszahlenwerk des Sachverständigenrats 1

Führt der Multiplikator zu realistischen Ergebnissen?

Das Zahlungsvolumen der in Deutschland ansässigen Giro- und Debitkarteninhaber soll laut SVR-Hochrechnung 2023 ca. 530 Mrd. € (hellgrüne Fläche) betragen haben. Dieses Ergebnis ist um mindestens 100 Mrd. € zu hoch. Laut Bundesbank-Zahlungsverkehrsstatistik beträgt das Debitkartenvolumen 2023 „nur“ 430 Mrd. (inkl. ELV) und zwar insgesamt, also nicht nur am physischen POS. Das kartenbasierte Zahlungsvolumen am POS soll laut SVR insgesamt ca. 700 Mrd. € (Debitkarten + Kreditkarten + Mobile Bezahlverfahren (vorwiegend kartenbasiert)) betragen. Am physischen POS werden aber laut Jahresstatistik der Bundesbank nur knapp 470 Mrd. € mit Karten (inkl. ELV) ausgegeben. Der falsche Multiplikator, der vom SVR angewendet wurde, führt zumindest im Kartenbereich zu einer Überschätzung in Höhe von schlappen 230 Mrd. €., auch wenn man berücksichtigt, dass beiden Datenerhebungen nicht zu 100% deckungsgleich sind.[3]

Nicht nur der für die Hochrechnung verwendete Multiplikator ist problematisch, sondern grundsätzlich auch die von dem SVR angewendete Methodik der Hochrechnung der Drei-Tage-Panel-Ergebnisse. Die Panel-Ergebnisse der Bundesbank-Umfrage sind zwar informativ, aber nicht unbedingt repräsentativ. Dadurch, dass die Bundesbank in der Zahlungsverkehrsstatistik für mehrere Zahlungsmittel auch die Totalerhebung macht, lässt sich die Repräsentativität prüfen. Der Anteil der Fernzahlungen am Gesamtkartenumsatz im Panel beträgt z. B. 5,6%; in der Totalerhebung dagegen 18,9%. Im Panel finden die Zahlungen „vereinzelt auch im Ausland“ (S. 12) statt. Zumindest im Kartengeschäft werden laut Gesamtstatistik 19,8% der Kartenzahlungen im Ausland getätigt. Hätte man im Ferienmonat August nicht nur den Drei-Tage-Bart, sondern auch das zahlungsmäßige Tagebuch geführt, wäre das Ergebnis vermutlich anders ausgefallen.

Dieses Zahlenwerk des SVR dient allerdings argumentativ nur zur Veranschaulichung der Verlagerung des Bargeldes zu digitalen Zahlungen und der Zunahme der Internetzahlungen gegenüber 2017. Beide Thesen stimmen. Da kann man hinsichtlich falscher Zahlen ein Auge zudrücken.

 

[1] https://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/publikationen/jahresgutachten.html

[2] https://www.bundesbank.de/de/presse/pressenotizen/zahlungsverhalten-in-deutschland-2023-934828

[3] Beide Erhebungen sind weitgehend, aber nicht zu 100% deckungsgleich. Die Panel-Umfrage umfasst Zahlungen privater Haushalte, die in Deutschland ansässig sind. Die Zahlungsverkehrsstatistik der Bundesbank bezieht sich auf Zahlungsinstrumente, die von den in Deutschland ansässigen Zahlungsdienstleistern herausgegeben werden. In der Gesamtstatistik sind demnach z. B. auch Umsätze enthalten, die mit Firmenkarten getätigt werden. In der Umfrage sind dagegen auch Zahlungen enthalten, die mit Karten getätigt werden, die von Banken herausgegeben werden, die im Ausland ansässig sind. Das cross-border Issuing ist aber – zumindest im Debitkartenbereich – noch sehr gering.



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