Doch keine große Klagewelle wegen der Widerrufsbelehrung?

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Die Reaktion des Bundesgerichtshofs zum EuGH-Urteil vom 26. März 2020

In meinem Blog-Beitrag vom 2. April 2020 habe ich mich ausführlicher mit der spektakulären Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (nachfolgend der „EuGH“) vom 26. März 2020 (nachfolgend das „EuGH-Urteil“) beschäftigt.

Offen blieb, wie der Bundesgerichtshof (nachfolgend der „BGH“), genau genommen der IX. Senat des BGHs, mit dem EuGH-Urteil umgeht.

Mit drei Beschlüssen, jeweils vom 31.03.2020 (Az.: XI ZR 299/19; XI ZR 581/18; XI ZR 198/19) (veröffentlicht jeweils später) hat der BGH nun dazu Stellung bezogen.

Zur Erinnerung: Entscheidung des EuGHs vom 26. März 2020

Der EuGH hat mit der Entscheidung vom 26. März 2020 entschieden, dass ein Kaskadenverweis nicht die Anforderungen an eine klare und prägnante Widerrufsbelehrung für die Berechnung der Widerrufsfrist erfüllt. Wer eine ausführlichere Darstellung des EuGH-Urteils möchte, findet sie hier.

Was war nochmal der Kaskadenverweis? Die im EuGH-Urteil zu beurteilende Widerrufsbelehrung verwendete die Formulierung der Musterwiderrufsinformationen. Die Musterwiderrufinformationen enthalten in Bezug auf den Fristbeginn einen Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB, welcher wiederum auf die Pflichtangaben nach Artikel 247 §§ 6 bis 13 EGBGB verweist. Diese Verweiskette wird in der Diskussion als Kaskadenverweis bezeichnet.

Es gibt zwei Arten von Musterwiderrufsinformationen, welche den Kaskadenverweise enthalten bzw. enthalten haben:

  • Musterwiderrufsinformationen für Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträge; und
  • Musterwiderrufsinformationen für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge.

Bisherige Position des BGHs

Die bisherige Position des BGHs war eindeutig:

Der Kaskadenverweis in der Widerrufsbelehrung erfüllt die Anforderungen an eine klare und prägnante Information des Verbrauchers.

Reaktion des BGHs – Das EuGH-Urteil spielt keine Rolle mit unterschiedlicher Begründung

Der BGH hatte in den oben genannten Beschlüssen jeweils über eine Nichtzulassungsbeschwerde zur Revision zu entscheiden.

Die Verfahren wurden in den jeweiligen Oberlandesgerichten entschieden und diese haben jeweils eine Revision nicht zugelassen. Dagegen haben die Kläger jeweils eine Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.

Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist, vereinfacht dargestellt, begründet, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BGHs erfordern.

In Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde hat der BGH zu dem EuGH-Urteil Stellung genommen.

Die spannende Frage war, ob der BGH seine Position aufgrund des EuGH-Urteils ändert.

Die Antwort lautet schlicht: Nein.

Man kann vermuten, dass der BGH schon keinerlei Anlass gesehen hat, dass der Kaskadenverweis dem EuGH vorgelegt wurde. Bei der Begründung des Ergebnisses differenziert der BGH zwischen den Musterwiderrufsinformationen für Immobilar-Verbraucherdarlehen und den Musterwiderrufsinformationen für Allgemein-Verbraucherdarlehen.

Immobiliar-Verbraucherdarlehen (Beschlüsse mit Az.: XI ZR 299/19; XI ZR 581/18)

Bei den Immobilar-Verbraucherdarlehen argumentiert der BGH recht simpel, aber wirkungsvoll und sagt, dass das EuGH-Urteil bei Immobiliar-Verbraucherdarlehen nicht einschlägig ist, da der Kaskadenverweis bei Immobiliar-Verbraucherdarlehen kein Europarecht verletzt hat und daher das EuGH-Urteil gar keine Bindungswirkung hat.

Das überrascht auf den ersten Blick und deckt einen Widerspruch zwischen EuGH und BGH auf, der sich nicht so einfach auflösen lässt.

Der EuGH entscheidet über die Auslegung europäischen Rechts, im vorliegenden Fall um die Auslegung der Verbraucherkreditrichtlinie, noch genauer um Art. 10 Abs. 2 Buchst. p der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl. 2011, L 234, S. 46) (nachfolgend die „Verbraucherkreditrichtlinie“).

In diesem Artikel der Verbraucherkreditrichtlinie wird der Grundsatz normiert, dass die Widerrufsbelehrung klar und prägnant sein muss.

Die Verbraucherkreditrichtlinie ist in ihrem Anwendungsbereich begrenzt und schließt explizit Immobiliar-Verbraucherdarlehen aus.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung ausgeführt, dass er auch für die Auslegung von nationalem Recht zuständig ist, wenn Unionsvorschriften aufgrund eines Verweises im nationalen Recht auf ihren Inhalt gelten. Zur Sicherstellung einer einheitlichen Auslegung des Europarechts sei dann auch der EuGH zuständig.

Nach Ansicht des BGHs handelt es sich bei der Widerrufsbelehrung für Immobiliar-Verbraucherdarlehen um rein nationales Recht und es geht nicht um die Auslegung von Europarecht, so dass der EuGH gar nicht zuständig ist. Der deutsche Gesetzgeber habe nicht die Regelungen der Verbraucherkreditrichtlinie auf Immobiliar-Verbraucherdarlehen erweitern wollen (dann wäre der EuGH zuständig), sondern das deutsche Recht habe schon vor der Verabschiedung der Verbraucherkreditrichtlinie eine ähnliche Regelung vorgesehen, so dass der deutsche Gesetzgeber die Regelungen nur zusammengefasst hat. Der deutsche Gesetzgeber hat nicht auf die Verbraucherkreditrichtlinie verwiesen, sondern eine gleichlaufende Regelung unabhängig von der Verbraucherkreditlinie eingeführt.

Daher spielt das Urteil für den BGH, obwohl der EuGH der Ansicht war, dass er zuständig ist, keine Rolle.

Allgemein-Verbraucherdarlehen (Beschluss mit Az.: XI ZR 198/19)

Bei den Allgemein-Verbraucherdarlehen ist die Argumentation des BGH komplexer, ändert aber an dem Ergebnis nichts. Bei der Beurteilung, ob der Kaskadenverweis bei Allgemein-Verbraucherdarlehen zulässig ist, ist der EuGH nach Ansicht des BGH zuständig. Der Kaskadenverweis ist bei Allgemein-Verbraucherdarlehen nicht zulässig. Doch folgt daraus für den BGH nicht, dass der Darlehensnehmer das Darlehen widerrufen kann.

Der deutsche Gesetzgeber hat die Musterwiderrufsinformationen mit einer Gesetzlichkeitsfiktion versehen, d.h. wer die Musterwiderrufsinformationen verwendet, kann darauf vertrauen, die gesetzlichen Pflichten hinsichtlich des Widerrufs zu erfüllen. Diese Gesetzlichkeitsfiktion kann der EuGH nicht für unwirksam erklären. Der EuGH kann nationales Recht europarechtskonform auslegen, doch kann eine europarechtskonforme Auslegung nicht den Willen des nationalen Gesetzgebers ins Gegenteil verkehren. Vorliegend hat der deutsche Gesetzgeber eindeutig die Gesetzlichkeitsfiktion angeordnet. Dies bedeutet, dass der deutsche Gesetzgeber mit seinen Musterwiderrufsinformationen, die einen unzulässigen Kaskadenverweis enthalten, gegen Europarecht verstößt. Dies hat aber keine direkte rechtliche Auswirkung im Rechtsverhältnis zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer. Die Widerrufsbelehrung bleibt wirksam. Dem Darlehensnehmer bleibt nur die (theoretische) Möglichkeit, gegen die Bundesrepublik Deutschland einen Staatshaftungsanspruch geltend zu machen, mit entsprechend geringen Chancen.

Was bleibt vom EuGH-Urteil? Welche Fragen sind noch offen?

Stand jetzt nicht viel. Der BGH sieht die Rechtsfrage des Kaskadenverweises bei der Widerrufsbelehrung als entschieden an.

Offen ist nur folgender Fall: Es liegt ein Allgemein-Verbraucherdarlehen vor, der Darlehensgeber hat in der Widerrufsbelehrung einen Kaskadenverweis verwendet, kann sich aber nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterwiderrufsinformationen berufen. Dies ist der Fall, wenn die Widerrufsbelehrung von den Musterwiderrufsinformationen abweicht. In diesem Fall wäre die Widerrufsbelehrung unwirksam und das Darlehen wohl widerrufbar.

Des Weiteren besteht in der Zukunft die Möglichkeit, dass wiederum ein deutsches Gericht zum Ärger des BGH dem EuGH den Kaskadenverweis vorlegt und dadurch eine Stellungnahme des EuGHs zur Ansicht des BGH erzwingt.

Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH darauf reagiert, dass der BGH für die Auslegung von Verbraucherrecht bei den Immobiliar-Verbraucherdarlehen den EuGH für nicht zuständig hält, obwohl der EuGH selbst seine Zuständigkeit angenommen hat.

 

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