Neues zur European Payments Initiative (EPI) und zur Retail Payments Strategy der EU (RPS)
Endlich haben sich am 2. Juli die 16 Banken der European Payments Initiative (EPI) offiziell mit einer Presseerklärung aus der Deckung gewagt. Bis dahin musste man sich mit Redefetzen einzelner Eingeweihter und off-the-record-Insider-Informationen selbst ein Bild machen (siehe den Blogbeitrag „PEPS-I: Monnet 2.0 oder SCT Inst?“). Die Presseerklärung bestätigt das bislang verlautbarte zweigleisige Vorgehen für ein neues bankeneigenes paneuropäisches Zahlungsverfahren, das dem neuen SEPA Instant Credit Transfer System (SCT Inst) zum Durchbruch verhelfen soll: Kartenzahlung (mobile/wallet und Plastik) und wallet-basierte Instant-Überweisung (SCT Inst) für C2B und C2C-Zahlungen. Die relativ kurze Pressemitteilung enthält auf den ersten Blick nur wenige Neuigkeiten, aber auch zwischen den Zeilen ist durchaus Interessantes zu erfahren.
Ende 2019 waren 21 Banken aus 8 Mitgliedsstaaten am Start. Jetzt sind es 16 Banken aus 6 Ländern: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande und Spanien. Die Pressemitteilung unterschlägt Italien, aber UniCredit macht mit und gilt immer noch als Bank aus Italien mit Hauptsitz Mailand. Die Pressemitteilung besteht zu 80% aus Auszügen aus den Hochglanzwerbebroschüren der 16 Banken. Es ist bemerkenswert, dass es hier nur der UniCredit gelungen ist, sich als genuine Europäische Bank (ohne Länderzugehörigkeit) zu präsentieren. Hut ab. Einige Banken sind nicht mehr dabei, darunter aus Österreich und Portugal. Die Gruppe wird von französischen (6) und deutschen Banken (4) dominiert. Nicht nur deshalb erinnert mich EPI an das ähnliche, aber 2012 gescheiterte Monnet-Projekt.
Es ist wohl unbestritten, dass die EZB der Treiber hinter der „Eigen“-Initiative dieser Banken ist. Die Stichwörter dieses politischen Projektes sind bekannt und vielfach dokumentiert: Hegemonie der amerikanischen Kartensysteme Mastercard und Visa auf europäischem Boden, Bedrohungskulisse der chinesischen Wallet-Anbieter Alipay und WeChat sowie der BigTechs (Apple & Google Pay, Facebooks Libra usw.), europäische Autarkie in der Zahlungsverkehrsdatengenerierung und -nutzung und die Stärkung der globalen Rolle des Euros.
Die Europäische Kommission verfolgt exakt das gleiche Ziel und die Strategie wie die EZB. Im Wettbewerbsrecht würde man dies abgestimmtes Verhalten nennen, denn es ist wenig plausibel, dass man unabhängig voneinander zu gleichem Ergebnis kommt. Gibt es Alternativen? Eine offene, im Vorfeld geführte öffentliche Diskussion ist mir nicht bekannt. Ein Vorteil: Diese politische Alternativlosigkeit sorgt im Markt wenigstens für eine gewisse Planungssicherheit.
Erinnert Sie dieses Erziehungskonzept auch aus Ihrer Kindheit? Mein Vater sprach öfter Empfehlungen aus. Ich hatte theoretisch die „Freiheit“ mich gegen die Empfehlung meines Vaters zu stellen, es hätte aber negative Folgen bis hin zu der Eskalationsstufe „Gebot“ und „Strafe“. Keine Ahnung, wie Pädagogen dieses Erziehungskonzept der „Zwangsempfehlung“ nennen, in der Wirtschaft kann dieses Vorgehen etwas positiver als „vorbeugende Eigenregulierung“ bezeichnet werden. EPI ist ein gutes Beispiel dafür.
In der EPI-Pressemitteilung wird dieser eigentliche „politische“ Treiber taktisch erst an zweiter Stelle kurz erwähnt:
In addition, the creation of EPI will support the implementation of the political agenda for both European public institutions and national authorities.
Der Hauptgrund für EPI ist überraschenderweise nicht die Politik, sondern die Marktnachfrage:
EPI founders are responding to merchant and consumer communities that have been calling for payment initiatives to take a more pan-European approach.
Diese Forderung der Marktteilnehmer muss wohl bislang leise und hinter verschlossenen Türen geäußert worden sein. Nun ja, man kann nicht alles mitbekommen. Im Hinblick auf den europäischen Flickenteppich wird öfter der nicht weiter erläuterte Begriff „digital payment“ verwendet.
Existing digital payment solutions are fragmented in Europe and European citizens are still unable to pay digitally everywhere.
Der Begriff muss sich wohl auf mobile Wallet-Zahlungen beziehen. Mit einer traditionellen Debit- oder Kreditkarte kann man überall in Europa (oder je nach Brand auch weltweit) zahlen. Vermutlich bezieht man sich auch auf die wenigen lokalen mobile payment Systeme, die eine Echtzeitzahlung (im C2B oder C2C) auslösen können. Wenn instant payment tatsächlich „new normal“ werden soll (ein gebetsartiges Statement in der Branche), fehlt tatsächlich noch ein derartiges paneuropäisches System.
Es ist noch gar nicht so lange her, dass man zum Teil verzweifelt einen Business Case für die von der Anbieterseite gepushten Instant Payment Schemes für Konsumentenzahlungen gesucht hat. In der Regel muss als Beispiel immer die überlastete Kellnerin herhalten, die bei einem Restaurantessen unter Freunden nicht separat abrechnen will. Es leuchtet allerdings nicht ein, warum der Ausgleich in Echtzeit und nicht am nächsten Tag erfolgen kann, es sei denn beim zahlenden Freund, der die Gesamtrechnung übernimmt, droht sonst die Kontoüberziehung oder die Freunde trauen sich gegenseitig nicht. Wesentlich überzeugender ist der Vorteil einer definitiven Echtzeitzahlung gegenüber dem Bündel aus Banknoten beim Kauf eines Gebrauchtwagens.
Zwischen dieser Nachfrage-Suche und der Etablierung der Instant Payment Systeme als Nukleus der EPI hat man nur wenig Zeit gebraucht. Was sagt der Ökonom in derartigen Fällen? Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selbst (saysches Theorem).
Auf jeden Fall muss es für die beiden politischen Treiber in Frankfurt und Brüssel eine Freude gewesen sein, zu erfahren, dass ihre politische Zielsetzung auch der heutigen Nachfrage der Zahlungsnutzer entspricht. Regulierer und Markt gehen jetzt Hand in Hand vorwärts. Das kann nur gut ausgehen. Postwendend reagierten die EZB und Kommission am gleichen Tag mit fast gleich titulierten Willkommenserklärungen an die EPI-Adresse.
Die EZB macht in ihrer Presseerklärung kein Geheimnis daraus, dass EPI eine unmittelbare Reaktion auf deren Verlangen nach Etablierung eines neuen Zahlungssystems ist, das „the autonomy of the European retail market“ verstärkt. Wenn schon das Bundesverfassungsgericht die Grenzen des geldpolitischen Mandats der EZB diskutiert, stellt sich für mich die Frage, ob das Drängen dieser Behörde zur Etablierung von neuen paneuropäischen innovativen „digitalen“ Zahlungslösungen in einem gut funktionierenden bargeldlosen Zahlungsverkehrsmarkt noch mandatskonform ist. Da die EZB mittels Geldpolitik bereits klimatische Ziele verfolgt, lautet die politische Antwort vermutlich ja. Früher bin ich etwas blauäugig davon ausgegangen, dass der Zahlungsverkehrsmarkt vorwiegend eine Sache von Angebot und Nachfrage ist.
Heute wird das Marktgeschehen weitgehend durch Regulierung dominiert. Immerhin wird auf diesem Markt unser Geld digital hin und her geschoben. Damit nichts verschwindet (derzeit wird noch verzweifelt nach 1,8 Milliarden Euro gesucht), ist Aufsicht und Regulierung notwendig. Aber bedeutet das auch, dass die Frage, wie wir in 5 oder 10 Jahren zahlen sollen oder können, eine politische Frage ist? Wenn ja, wer legt das politische Ziel fest? Wollen wir das wirklich der EZB als unabhängiger Institution, die nach Aussage des Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble „nicht demokratisch legitimiert und kontrolliert“ ist, überlassen? Hätten wir nicht als Staatsbürger (und Zahlungsnutzer) da ein Wörtchen mitreden, Alternativen abwägen und das Ziel mitbestimmen sollen? Ich fürchte, der Zug ist abgefahren.
Zurück zu den Beifallserklärungen der EZB und Kommission. Die EZB erwähnt, dass die EPI die Intention verfolgt, die „national schemes for card, online und mobile payments“ durch ein „unified card and digital wallet, that can be used across Europe“ zu ersetzen. In der EPI-Presseerklärung ist davon nicht die Rede. Dort heißt es, das neue System soll „in addition to existing international payment solutions“ etabliert werden. Meint man damit Mastercard, Visa, PayPal, Amazon Pay & Co? Gibt es in Europa überhaupt noch „national card schemes“? Zumindest de jure haben alle früheren nationalen Kartenverfahren, wie Cartes Bancaires, girocard, Bancontact, Dankort usw. in Europa offiziell das Gütesiegel „SEPA-compliant“. Es gibt demnach keine Hürden für eine europaweite Expansion dieser Schemes. Jede Bank in der EU kann z. B. dem Kartenverfahren Cartes Bancaires als Issuer und/oder Acquirer beitreten. Es gibt also nur noch europäische Card Schemes mit historisch bedingten nationalen Verankerungen. Werden diese Systeme nun auf dem EPI-Altar geopfert oder nicht? Etwas mehr Klartext wäre hilfreich.
Eine weitere Frage ist, ob die erste EPI-Stufe auf die Eurozone abzielt? EPI vermeidet diese Differenzierung und spricht nur von Europa, obwohl unter den 16 Banken keine Bank außerhalb der Eurozone dabei ist. Die EZB ist etwas zurückhaltender. Das Ziel ist gemäß EZB die Eurozone und „eventually the entire Eupean Union“. Langfristig hegen beide Eltern (EZB und Kommission) sogar globale Visionen für die Initiative, die bislang nur auf Papier existiert. Die Kommission ist ganz euphorisch und sieht das „ground-braking project“ sogar „competitive at global level“. Warten wir ab. Zuerst soll demnächst in Brüssel eine Interimsgesellschaft gegründet werden. Nur noch bis zum Jahresende können weitere Banken und andere Zahlungsdienstleister der EPI als Mitgründer beitreten. Die Einladung gilt allerdings nur für europäische PSPs. Reicht ein Sitz innerhalb der EU? Können die europäischen PSPs Alipay (Europe) Ltd. (Luxembourg), Facebook Payments International Ltd. (Irland) oder Google Payment (Litauen) als Gründer mitmischen?
Ab 2022 soll es gemäß EPI losgehen („operational stage“). Die Kommission ist da optimistischer und erwartet zu diesem Zeitpunkt bereits ein System, das „fully operational“ ist.
Natürlich darf Covid-19 als zusätzliches Argument nicht fehlen:
The Covid-19 crisis has underlined the need for a unified European digital payment solution.
Eine Begründung fehlt. Reicht es nicht, wenn wir wegen des angeblich viruskontaminierten Bargeldes fast schon überall mit Karte oder Handy kontaktlos zahlen können? Warum brauchen wir wegen Corona darüber hinaus ein einheitliches paneuropäisches Verfahren? Die Kommission postuliert in ihrer „Consultation on a retail payment strategy“, die im Juni 2020 beendet wurde, sogar die These „instant payments are in this context becoming more strategic than ever before.“ Warum führt Corona zur Notwendigkeit von Echtzeitüberweisungen? Da ist – zumindest für mich – argumentative Nachhilfe notwendig. Im Gegenteil: Ich war froh, dass ich meine pre-corona vorausbezahlten Flüge und Theatervorstellungen mit Kreditkarte und PayPal und nicht mit definitiven Überweisungen ohne Chargeback-Option bezahlt habe. Im nächsten Blogbeitrag nehmen wir deshalb die “retail payment strategy” (RPS) der Kommission etwas näher unter die Lupe.
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