Ist Libra E-Geld?

Ist Libra E-Geld oder eher virtuelle Währung? Da die Libra auf der Blockchain-Technologie basiert, ist es naheliegend, die Libra als Kryptowährung zu bezeichnen. Für die aufsichtsrechtliche Klassifizierung ist die zugrundeliegende Technologie jedoch nicht relevant. Aus europäischer Sicht kommen für Libra zwei Kategorien in Betracht: E-Geld (wie in der EMD2 definiert) oder virtuelle Währung (wie in der AMLD5 definiert). Da die Definition der virtuellen Währung vom Gesetzgeber als Auffangtatbestand soweit wie möglich gefasst wurde, ist davon auszugehen, dass bei Verneinung der E-Geld-Tatbestände für die Libra die Einstufung als virtuelle Währung folgen wird. Aus diesem Grund wollen wir zuerst der Frage nachgehen, ob die Libra auf Basis der vorhandenen Informationen im White Paper die Tatbestandsmerkmale des E-Geldes erfüllen würde. Ist Libra E-Geld – ja oder nein? Offensichtlich ist die Lage nicht eindeutig, es gibt unterschiedliche Meinungen im Team der Blog-Autoren.

Ist Libra E-Geld? Standpunkt: JA (Hugo Godschalk)

Aus meiner Sicht muss die Frage mit einem JA (ohne aber) beantwortet werden. Bei den meisten herkömmlichen Kryptowährungen, wie Bitcoin & Co, gibt es keine greifbare Instanz, die die Werteinheiten herausgibt. Wie ein Goldschürfer ein Goldnugget findet, „findet“ der Miner durch langwierige Berechnungen die digitale Werteinheit, die er zum Verkauf auf dem Markt anbietet. Im Libra-System gibt es aber ein Herausgeber. Die Libra Association ist der einzige Schöpfer und Herausgeber der Libra:

The association is the only party able to create (mint) and destroy (burn) Libra. (S. 8, Libra White Paper).

 

Die Herausgabe der Libra erfolgt gegen Zahlung eines Geldbetrages in Fiat-Geld durch einen autorisierten Reseller (z. B. Calibra-Wallet-Anbieter Facebook). Über die jeweiligen Reseller erfolgt der Weiterverkauf an den Endkunden. Der von dem Emittenten entgegengenommene Geldbetrag soll dem aktuellen Wert der Korbwährung entsprechen. Auch beim Rücktausch der Libra in Fiat-Geld erfolgt der Erwerb durch den Emittenten

at a price equal to the value of the basket (ebd.).

 

Gegenüber dem Reseller verpflichtet sich der Emittent zur einer jederzeitigen Einlösung zum Nennwert.

Die Libra erfüllt damit sämtlichen Tatbestandsvoraussetzungen des E-Geldes gemäß Art. 2 Nr. 2 der Zweiten E-Geld-Richtlinie :

„E-Geld“ jeden elektronisch – darunter auch magnetisch – gespeicherten monetären Wert in Form einer Forderung gegenüber dem Emittenten, der gegen Zahlung eines Geldbetrags ausgestellt wird, um damit Zahlungsvorgänge im Sinne des Artikels 4 Nummer 5 der Richtlinie 2007/64/EG durchzuführen, und der auch von anderen natürlichen oder juristischen Personen als dem E-Geld-Emittenten angenommen wird.

Daraus ergeben sich für den E-Geld-Emittenten Libra folgende Verpflichtungen gemäß Art 11:

Ausgabe der Libra zum Nennwert des entgegengenommenen Geldbetrags bzw. jederzeitige Rückerstattung des monetären Wertes des gehaltenen E-Geldes auf Verlangen des E-Geld-Inhabers, ebenfalls zum Nennwert.

Es gibt keine Verpflichtung, dass das jeweilige E-Geld in der Währungseinheit des eingezahlten Betrages bezeichnet wird. So können z. B. die Werteinheiten in einer Phantasie-Währung („Dukaten“ oder „Meilen“) nominiert und gespeichert werden. Wenn ein in Euro nominiertes E-Geld mit einer Fremdwährung erworben wird, soll zuerst die Fremdwährung gegen Euro getauscht werden, wonach die Ausgabe des E-Geldes (in Euro) gegen den vom Emittenten entgegengenommenen Geldbetrag zum Nennwert erfolgt.

Die Prozedur ist vergleichbar mit der Eröffnung eines Fremdwährungskontos mittels Einzahlung in Euro. Ich kaufe zuerst die Fremdwährung (gegen Euro) und zahle anschließend die erworbene Fremdwährung auf das Konto ein. Ich habe einen Anspruch auf Rückzahlung des Geldes in der Fremdwährung. Zwischen Einzahlung und Rückzahlung kann sich das Kursverhältnis zwischen der Fremdwährung und dem Euro durchaus ändern. Beim Rücktausch erhalte ich die Fremdwährung wieder exakt zum Nennwert (abzüglich Gebühren).

Wenn der Währungskorb einer Libra z. B. aus 0,5 USD und 0,5 Euro besteht, kauft der Libra-Erwerber zuerst (z. B. mit einer Drittwährung) die erforderlichen Fiat-Währungen in der jeweiligen Korbzusammensetzung zu den jeweiligen Tageskursen. Die Einzahlung erfolgt in exakt dieser Mischung der Geldbeträge (50% USD, 50% EUR). Beim Rücktausch einer Libra erhält der E-Geldinhaber wieder 0,5 USD und 0,5 EUR bzw. deren aktuellen Gegenwert in einer gewünschten Drittwährung. Der Emittent ist nur zur Rückgabe des monetären Wertes des E-Geldes zum aktuellen Nennwert des eingezahlten Betrages (Libra in Euro) verpflichtet. Die Kursentwicklung der Drittwährung gegenüber der Libra spielt für den Emittenten keine Rolle. Damit erfüllt der Emittent Libra Association bereits die Emissions- und Rücktauschverpflichtungen gemäß Art. 11.

Die Libra Association plant ihren Sitz in der Schweiz. Die Schweiz hat allerdings im Gegensatz zu den EWR-Ländern Norwegen, Island und Liechtenstein die EMD2 nicht übernommen. Unter folgenden Voraussetzungen wird die Ausgabe von E-Geld in der Schweiz nicht als erlaubnispflichtiges Einlagengeschäft betrachtet:

  • Die entgegengenommenen Gelder sollen einem Zahlungsmittel oder Zahlungssystem zugeführt werden,
  • Sie dürfen nur zum Bezug von Waren oder Dienstleistungen genutzt werden,
  • Pro Kunde ist das E-Geld-Guthaben auf max. 3.000 CHF begrenzt,
  • Keine Verzinsung.

Unter diesen Voraussetzungen könnte die Libra Association eine Zulassung als Kreditinstitut vermeiden. Der E-Geld-Emittent in der Schweiz verfügt – im Gegensatz zu den Emittenten in dem restlichen EWR – allerdings nicht über einen Europäischen Pass. Damit dürfte die Verbreitung der Libra innerhalb des EWR ziemlich erschwert werden.

Ist Libra E-Geld? Standpunkt: NEIN (Susanne Grohé)

Es gibt nach meinem Verständnis keinen zentralen Herausgeber von Libra Coins. Zwar steht im White Paper, dass nur die Libra Association berechtigt ist, neue Libra zu schaffen oder zu zerstören, dies bezieht sich aber darauf, dass die Libra Association für die Herausgabe und Zerstörung die Regeln bestimmt, nicht aber, dass die Libra Association dies selbst durchführt. Im Gegensatz zu Bitcoin wird bei Libra kein Mining betrieben, sondern die Blockchain beruht auf dem “proof of stake” Prinzip, d.h. der Schöpfer der nächsten Coins (Validator Node) wird auf eine vorher festgelegt Weise ausgewählt. Dies bedeutet, dass nicht die Libra Association, sondern – zumindest zu Anfang, später soll die Blockchain erlaubnisfrei werden – jeweils ein einzelnes Mitglied Libra Coins schafft, das in diesem Moment ausgewählt ist, die Coins zu schaffen.

E-Geld setzt weiter voraus, dass durch Zahlung eines Geldbetrags eine Forderung gegen den Emittenten entsteht. Da, wie festgestellt, der Emittent eines Libra Coins irgendeines der Mitglieder sein kann, der Käufer des Libra Coins mit diesem aber keine Beziehung haben muss, ist es fraglich, ob hier tatsächlich eine Forderung gesehen werden kann. Die Libra Association verspricht, dass es möglich sein wird, Libra stets wieder in Fiat-Währung umzutauschen – aber ob dies rechtlich eine Forderung gegen die Libra Association begründet, bleibt im White Paper offen.

Der Umtausch von E-Geld muss zudem immer zum Nennwert des entgegengenommenen Geldbetrags erfolgen. Zum Beispiel: Jemand kauft E-Geld für 1 EUR, dann kann er dieses wieder in 1 EUR umtauschen. Sofern sich jemand beim Rücktausch des E-Geldes den Betrag in einer anderen Währung, z.B. USD, auszahlen lässt, dann erhält er den Gegenwert von 1 EUR in USD (ggfls. abzüglich einer Währungsumtauschgebühr).

Bei Libra muss dies anders sein, denn Libra ist nicht an eine Währung, sondern an einen Währungskorb gekoppelt. Dies bedeutet, der Kauf eines Libra Coins nicht einem EUR entspricht. Wenn ich Libra Coins für 1 EUR kaufe, dann bekomme ich beim Rücktausch auch nicht unbedingt 1 EUR wieder, sondern so viel EUR, wie dieser zum Zeitpunkt des Rücktausches zum Libra Coin steht. Die Libra kann sich unterschiedlich zur Fiat-Währung entwickeln, mit der der Libra Coin gekauft wurde, so dass ich möglicherweise für 1 EUR kaufe, aber später für 2 EUR rücktauschen kann (wenn es gut läuft). Darauf weist Libra auch explizit im White Paper hin.

Bei E-Geld ist dies nicht möglich, es bildet nur eine Währung ab. Auch wenn ich dieses Argument für ein ziemlich starkes halte, warum Libra kein E-Geld ist, so gibt es jedoch ein formales Argument dagegen: Der Umtausch des E-Geldes zum Nennwert ist nicht Tatbestandsmerkmal von E-Geld nach der EMD2, sondern eine Rechtsfolge der Klassifizierung. Dennoch bin ich der Meinung, dass genau dieser Umtausch zum Nennwert ein Kernelement von E-Geld ist, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass es seinen E-Geld-Charakter verliert.

Warum ist diese Diskussion eigentlich relevant?

Wenn Libra E-Geld wäre, müsste die Libra Association eine E-Geld-Erlaubnis in der EU beantragen, z. B. in Irland. Facebook hat dort bereits seit Juli 2018 eine E-Geld-Lizenz und dort erste Erfahrungen mit der europäischen E-Geld-Regulierung gemacht. Damit könnte sie das E-Geld EU-weit herausgeben. Sie würde den Geldwäschepflichten des EU-Staates unterliegen, in dem sie ihre Erlaubnis hat. Sie könnte die Gelder vermutlich nicht weltweit anlegen, sondern müsste zumindest die der EU-Libra-Coin-Käufer in der EU anlegen. Die Anlagen würden außerdem der Aufsicht unterliegen.

Die Betreiber von Wallets könnten vermutlich als E-Geld-Agenten angesehen werden, die eigenen geldwäscherechtlichen Pflichten unterliegen und die ebenfalls der Aufsicht unterliegen. Und sie müssten Libra zum Nennwert der Fiat-Währung zurücktauschen, in der es ausgegeben wurde.

Das klingt nach viel Regulierung, die die Libra Association möglicherweise vermeiden will. Andererseits wäre dann auch klar, woran sie sind.

Die derzeitigen Bedingungen für E-Geld hinsichtlich Herausgabe und Rücktausch in herkömmliches Geld können unterschiedlich interpretiert werden (siehe oben unsere Standpunkte). Vielleicht wäre es hilfreich, wenn eine Aufsichtsbehörde diese Frage der EBA zur Auslegung vorlegt, um eine möglichst einheitliche Beurteilung der Frage innerhalb der EU zu erreichen. Es wäre ein kleiner Schritt, hier über eine “Guidance” exegetische Klarheit zu schaffen und Libra damit in der EU als E-Geld zu domestizieren. Die angeblich schlaflosen Nächte der Zentralbanker, Aufsichtsbehörden, Banken und einiger Parlamentarier wären damit beendet.

 

Cover picture: Copyright © fotolia / Andrey Popov

1 comment
  1. Die Einordnung als E-Geld scheint mir überzeugender. Validator Nodes sind eben nur das: Validators, also “Bestätiger”. Sie bestätigen, dass ein bestimmter Zustand der Blockchain als wahr (besser: mehrheitsfähig) gilt. Damit ist nicht gesagt, dass die Validators auch die Libra Coins erschaffen.

    Wie und auf wessen Geheiß neue Coins erschaffen werden, also ein entsprechender Eintrag in der Blockchain vorgenommen wird, wird im White Paper gar nicht genau beschrieben. Der Satz “The association is the only party able to create (mint) and destroy (burn) Libra” ist aber schon ein Hinweis. Dazu wird im Dokument, das die Reserve näher beschreibt, gesagt: “The association […] mints and burns coins only in response to demand from authorized resellers.” Und weiter: “For new coins to be minted, there must be a commensurate payment of fiat by resellers into the reserve”. Das hört sich schon sehr nach E-Geld an.

    Ein weiterer Hinweis findet sich in der technischen Beschreibung, der auf einen on-chain smart contract Bezug nimmt, der anscheinend die Ausgabe neuer Coins regelt: “To implement this scheme, the Libra coin contract allows the association to mint new coins when demand increases and destroy them when the demand contracts.” Die Schaffung und Einstampfung von Coins wird also wohl von einem smart contract kontrolliert, nicht von den Validators. Es stellt sich daher allenfalls die Frage, wem die Aktionen dieses smart contracts rechtlich zuzuschreiben sind. Nach Selbstdarstellung wohl der Association.

    Interessant wäre ein Blick in die künftigen (rechtlichen, nicht smarten) Verträge der “Authorised Reseller” mit… ja wem, der Association? Jedenfalls nicht mit den wechselnden Validators, die ja auch einzeln nicht die Reserve kontrollieren. Hier wird sich eine Gegenpartei gegenüber den Resellern zu Ausgabe und Rücknahme von Coins rechtlich verpflichten müssen. Das wäre dann der Emittent.

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