Der Digitale Euro im Europawahlkampf

Der Digitale Euro im Europawahlkampf - Hugo Godschalk

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Regulierung des Digitalen Euros (D€) liegt seit dem 28. Juni 2023 [1] auf dem Tisch. In den Ausschüssen des Europäischen Parlaments (ECON & LIBE) war der Vorschlag bereits Gegenstand umfangreicher Beratungen. Beide Ausschüsse sowie die EZB schlagen einen umfangreichen Katalog mit Änderungen vor.

Auch im Working Party des Europäischen Rates wird der Vorschlag heftig diskutiert. Die Hoffnung mancher Befürworter (wie der HDE [2]), der Vorschlag hätte noch in dieser Legislaturperiode des EP verabschiedet werden können, hat sich als illusorisch erwiesen. Für das neue EU-Parlament, das Anfang Juni gewählt wird, gehört die Schaffung des Rechtsrahmens für den D€ zu den Topprioritäten auf der Agenda. Der Rechtsrahmen ist die Voraussetzung für die Entscheidung der EZB das umstrittene Vorhaben auf den Weg zu bringen oder (ziemlich unwahrscheinlich) sich leise, mit Gesichtsverlust von der Idee zu verabschieden. Zumindest beim D€-Rechtsrahmen kann der Bürger mit seinem Wahlzettel bei der kommenden Europawahl seine demokratischen Rechte wahrnehmen.

Schon Stammtischgespräch?

Das Thema „D€“, bislang eher ein Thema für die Nerds, zieht langsam aber sicher breitere Kreise in der öffentlichen Diskussion. Mit Hinblick auf unsere Geldordnung und die dort existierenden Zahlungssysteme ist es nicht übertrieben, den D€ als systemischen „game changer“ zu bezeichnen. Ohne diese digitale Variante wäre – so die EZB – nicht nur unsere gemeinsame Währung, sondern sogar die europäische Souveränität ernsthaft gefährdet. Auch wenn man die martialisch angehauchte Metaebene verlässt, ist das Thema ebenso eine Ebene tiefer relevant. Schließlich wird das zusätzliche Zahlungsmedium in Zukunft jeden (zumindest Smartphone-affinen) Konsumenten tangieren. Die meisten Händler werden – so der Vorschlag zur Regulierung – zur Akzeptanz des neuen gesetzlichen Zahlungsmittels gezwungen werden.

Bei dem einschlägigen Internet-Buchhändler findet man auf Anhieb bereits acht Sachbücher in deutscher Sprache mit dem „digitalen Euro“ im Titel. Das Thema scheint angekommen zu sein. Auch in den EU-Wahlprogrammen deutscher Parteien?

Das Schweigen der (ehemaligen) Volksparteien

Im Deutschen Bundestag und seinem Finanzausschuss haben sich bislang die Parteien CDU/CSU und der AfD mit umfangreichen Anträgen zum D€ hervorgetan [3] .Es wundert mich deshalb, dass die CDU/CSU – wie übrigens auch die SPD – zum Thema D€ in ihrem EU-Wahlprogramm schweigen. Stattdessen: „Den Euro halten wir stabil“ (Anm.: War das bislang nicht die Kernaufgabe der EZB?) und „Wir setzen uns für den Erhalt des Bargelds ein“ (S. 18).

Die AfDspricht sich gegen einen von der EZB zentral herausgegebenen digitalen Euro aus, der ein Einfallstor für die schleichende Abschaffung des Bargelds wäre“ (S. 21). Aussage und Begründung sind nicht überraschend. Zumindest eine unmissverständliche Positionierung.

Konstruktive Begleitung

Bei der FDP hört man – bedingt durch das Adjektiv „konstruktiv“ einen leisen kritischen Unterton: „Die Einführung eines digitalen Euro als Ergänzung zum bestehenden Bargeld begleiten wir konstruktiv“ (S. 17). Man merkt, dass diese Partei derzeitig den Finanzminister stellt, denn es folgt eine konkrete Insider-Forderung: „Als digitales Bargeld soll der digitale Euro offline wie online nutzbar sein.“ Der Satz ist allerdings eine exegetische Herausforderung. Nach dem heutigen Konzept der EZB kommt nur die Offline-Variante des D€ als Inhaberinstrument mit einem gewissen Anonymitätsgrad einem „digitalen“ Bargeld relativ nahe. Die Online-Variante des D€ ist fast identisch mit dem Giralgeld der Banken und damit weit entfernt von einem echten digitalen Bargeld. Will die FDP eine Online-Variante des D€ Inhaberinstrument auch für Nicht-Präsenzzahlungen? Vielleicht interpretiere ich hier zuviel hinein, weil mir das Konzept gefällt. Damit hätte man ein wirklich innovatives Zahlungsinstrument statt eine (überflüssige?) Kopie der herkömmlichen giralgeldbasierten Bankprodukte.

Auch bei der nächsten Forderung kann man grübelnd innehalten: „Es darf keinen Zwang zur Nutzung des digitalen Euro geben.“ Im Entwurf der Kommission und in den Dokumenten der EZB ist der Nutzer sowohl der Zahlungsgeber als auch der Zahlungsempfänger. Also keine (weitgehende) Annahmeverpflichtung des D€ auf der Händlerseite, wie EZB und Kommission fordern? Die weiteren Forderungen der FDP an den D€ sind eher plakativ: Vollumfänglicher Schutz der Privatsphäre der Bürger und Vermeidung zusätzlicher Risiken für das Finanzsystem. Vermutlich zielt man mit der letzten Forderung auf die von den Banken gefürchtete Verlagerung deren Einlagen auf die D€-Konten ab.

EZB-tragende Grünen

Das folgende kritiklos bejahende D€-Statement der Grünen/Bündnis 90 hätte aus der Feder der EZB kommen können: „Wir unterstützen die Einführung des digitalen Euros als Ergänzung zum Buchgeld der Geschäftsbanken und zum Bargeld, welches weiterhin als barrierefreies Zahlungsmittel möglich bleiben wird. Der digitale Euro befördert die Digitalisierung der Wirtschaft und ermöglicht Verbraucher*innen digitalen Zugriff auf sicheres und wertstabiles Zentralbankgeld. Als öffentliches Gut kann er einen wertvollen Beitrag zur finanziellen Inklusion, zur Souveränität der EU und zur Stabilität unseres Zahlungssystems im digitalen Zeitalter leisten.“ (S. 18).

Die Grünen übernehmen damit allerdings auch die nichtzutreffende, aber immer wieder von der EZB postulierte Aussage, der D€ sei ein „öffentliches Gut“ („public good“). Den D€ könnte man als „public money“ bezeichnen, aber nicht als „public good[4] .Das sollte jeder angehende Ökonom spätestens nach dem Bachelor wissen. Für Nicht-Ökonomen: Ein kurzer Blick in Wikipedia reicht.

Marktmacht der BigTechs als Zahlungssysteme?

Auch Die Linken befürworten – etwas weniger staatstragend als die Grünen – die Einführung des D€ mit folgenden Forderungen: Kein Haltelimit für Privatpersonen (Anm.: Zur Diskussion stehen 3.000 Euro), keine Verzinsung (Anm.: Entspricht der Forderung der Kommission) und anonymes Bezahlen bei kleinen Beträgen. Außerdem: „Nur mit einer öffentlichen Alternative zu den Bezahlsystemen der großen Internetkonzerne können wir ihrer enormen Finanztechnik- und Datenmacht entgegenwirken und glaubwürdig ein europäisches Datenschutzniveau durchsetzen.“ (S. 36).

Die dominierende Rolle der Big Five (GAFAM: Alphabet/Google, Apple, Microsoft, Meta/Facebook und Amazon) als Zahlungssystem ist ein weitverbreitetes Narrativ, auch innerhalb der Kommission. Zumindest in der EU haben die vorhin genannten Internet-Unternehmen entweder keine eigene Zahlungssysteme oder die Marktanteile laufen unter „sonstiges“ (wie Amazon Pay). Apple Pay ist ja kein Zahlungssystem, sondern ein „pass-through wallet[5], die Zahlungsinstrumente Dritter enthält. Google Pay hat als Zahlungssystem (nicht als pass-through wallet) wegen Misserfolg zumindest in den USA die Segel gestrichen. Aber was nicht ist, kann natürlich noch werden.

Im Europawahlprogramm der Linken-Abspaltung Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) findet man zwar viel zur Geldpolitik der EZB, aber nichts zum D€. Auch hier taucht das bereits erwähnte Narrativ der „zunehmenden Marktmacht im Zahlungsverkehr“ der „Big Tech Konzerne und FinTechs“ auf. Es bleibt offen, womit diese Marktmacht „bekämpft werden muss“ (S. 7).

Die Partei „Freie Wähler“ steht dem D€ kritisch gegenüber. Sie gibt nur grünes Licht, wenn der D€ vier Forderungen erfüllt: Keine Implementation als Bargeldersatz, hohes Level an Datenschutz und Anonymität, keine „Einladung zu Bank-Runs“ und kein Einsatz für Social-Scoring-Systeme (S. 50). Bei den beiden zuerst genannten Zielen sehe ich allerdings einen Zielkonflikt. Die Offline-Variante des D€ ist unübersehbar als Bargeldersatz konstruiert (nur Face-to-Face, nur Kleingeldzahlungen). Im Gegensatz zur Online-Variante können aber nur Offline-Zahlungen mit dem D€ unter einer gewissen Anonymität durchgeführt werden.

Das „Bündnis Deutschland“ (immerhin mit einem Mandat im heutigen EU-Parlament vertreten) sagt vermutlich „nein“ zum D€. Eine Mutmaßung deswegen, weil man sich gegen einen Elektro-Euro („E-Euro“) positioniert. Der Grund ist eine Kosten-Nutzen-Abschätzung: „…da der Aufwand zur Einführung und Überwachung des E-Euros in keinem Verhältnis zu den wenigen Vorteilen steht.“ (S. 34). Auch wenn bislang noch keine seriösen Aufwandsschätzungen bekannt sind, dürfte es sich beim D€ um ein Megaprojekt für EZB und Banken/Zahlungsdienstleister handeln. Einige Hinweise zu den „wenigen Vorteilen“ hätten mich allerdings interessiert.

Europäische Gesellschaft für Zahlungsabwicklung

Last but not least die Partei Volt Deutschland. Hier existiert offensichtlich ein hohes Interesse am Thema Zahlungsverkehr. Im Wahlprogramm nimmt das Thema eine ganze Seite (S. 16) ein (nun ja, etwas relativierend: 1 von 147 Seiten). Hat sich hier ein Nerd als Spindoctor eingeschlichen und die Volt-Wahlprogrammschreiber haben ihn/sie nur halb verstanden?

Durchaus denkbar: Wenige Unternehmen können den Markt für „Zahlungen und digitale Finanzdienstleistungen“ beherrschen und hohe „Transaktionsgebühren“ erheben. Um das zu verhindern sollen „sichere und preiswerte Optionen für Zahlungen“ eingeführt werden. „Preiswerte Kartenzahlungen oder Instant-Überweisungen“ sind „nützliche Features“, die „in Einklang gebracht werden“ müssen. Das hört sich ähnlich an, wenn ich mich als Zeitungsleser zum Thema Kernspaltung äußere.

Aber es folgt ein interessanter und origineller Vorschlag, den ich nicht vorenthalten möchte: „Überprüfung der Gründung einer europäischen öffentlichen Gesellschaft für Zahlungsabwicklung. Dies gilt für den Fall, dass festgestellt werden sollte, dass große amerikanische Zahlungsabwickler ihre dominante Marktposition ausnutzen, um überhöhte Gebühren zu erheben.“ Meint Volt mit „Zahlungsabwicklung“ vielleicht Zahlungsverfahren (Scheme)? Zielt die Aussage „überhöhter Gebühren“ auf die sogenannten Scheme und Processing Fees der Card Schemes Mastercard & Visa?

Wenn man etwas länger in den Vorschlag hineinphilosophiert, würde die EZB diese Forderung mit der Einführung des D€ perfekt erfüllen: Eine europäische öffentliche Instanz, die die Abwicklung (Clearing & Settlement) der (Online-)D€-Transaktionen für die Distributoren (Banken und andere PSPs) gegen Nullpreis übernimmt, für das neue Zahlungssystem auch keine „Scheme Fees“ erhebt und die noch wenig begeisterten Hilfstruppen unter dem Motto „vereint gegen die Dominanz amerikanischer Systeme“ zum Kampf einlädt.

Es wundert nicht, dass Volt in dem darauffolgenden Absatz den D€ befürwortet, und zwar „als nützliches Zahlungsmittel, ohne auf ein Bankkonto angewiesen zu sein.“ Es ist demnach konsequent, dass auch keine Obergrenze für die D€-Haltung durch Privatpersonen gefordert wird.

Bei der ÖDP und den Piraten habe ich keine Statements zum D€ gefunden. Auch wenn es sich beim D€ um ein potenzielles Unicorn handelt, habe ich auf die Suche im Parteiprogramm der Tierschutzpartei verzichtet.

Fazit

Außer CDU und SPD haben die meisten der derzeit im EU-Parlament vertretenen Parteien aus Deutschland die von der EZB vorbereitete Einführung des D€ zumindest als Thema erkannt: Ablehnung, Zustimmung und Ja-Aber-Stimmen. Das sind gute Vorzeichen für einen breiten Diskurs im EU-Parlament, in dem das Regelwerk demnächst entschieden wird.

[1] https://finance.ec.europa.eu/publications/digital-euro-package_en

[2] https://einzelhandel.de/presse/aktuellemeldungen/14467-digitaler-euro-hde-fordert-europaeisches-parlament-zum-handeln-auf

[3] https://paytechlaw.com/digitaler-euro-keine-volle-anonymitaet/

[4] Eine ausführliche Begründung aus Sicht der ökonomischen Wissenschaft finden Sie im PaySys-Report Nr. 4 (2023).

[5] https://paytechlaw.com/psr-psd-3-die-digitale-geldboerse-das-wallet/



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