Am 03.04.2020 veröffentlichte die BaFin ihr neues Merkblatt zum Tatbestand des Garantiegeschäfts („Merkblatt Neu“). Das Merkblatt Neu bringt für die Praxis Licht und Schatten. Einerseits konkretisiert es Aussagen des vorangehenden Merkblatts vom 08.01.2009 („Merkblatt Alt“), anderseits klärt es bisherige Fragen der Praxis nicht und wirft neue Fragen auf. Nachfolgend soll ein Überblick über die Neuerungen des Merkblatts Neu gegeben werden.
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Merkblatt zum Garantiegeschäft: Bedeutung für die Praxis
Das gewerbsmäßige Betreiben des Garantiegeschäfts bzw. das Betreiben des Garantiegeschäfts in einem Umfang, der einen kaufmännischen Geschäftsbetrieb erfordert, ist ein Bankgeschäft und bedarf als solches einer Erlaubnis der BaFin. Das Garantiegeschäft ist in § 1 Absatz 1 Satz 2 Nr. 8 Kreditwesengesetz als
die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen für andere
definiert. Der Tatbestand des Garantiegeschäfts wird von der BaFin seit jeher weit ausgelegt. Der Wirtschaftsverkehr muss daher darauf achten, bei der Gestaltung von vertraglichen Absicherungsmechanismen die Grenzen des erlaubnispflichtigen Garantiegeschäfts nicht zu überschreiten. Das Merkblatt Neu stellt die Verwaltungspraxis der BaFin zum Garantiegeschäft dar und ist insofern für die Marktteilnehmer von großer Relevanz.
Bürgschaften, Garantieverträge und sonstige Gewährleistungen
Im Merkblatt Neu konkretisiert die BaFin, unter welchen Voraussetzungen Bürgschaften, Garantieverträge und sonstige Gewährleistungen als erlaubnispflichtiges Garantiegeschäft in Betracht kommen. Im Merkblatt Alt wurde – vor allem bei der Bürgschaft – nur auf die Verknüpfung zum Zivilrecht hingewiesen, sonstige Eingrenzungen fehlten.
Bürgschaften
Die BaFin stellt klar, dass Bürgschaften vom Tatbestand nur dann erfasst werden, wenn der Avalkreditgeber die Bürgschaftserklärung gegenüber dem Gläubiger der Hauptschuld abgibt bzw. der Gläubiger der Hauptschuld ein eigenständiges Forderungsrecht gegenüber dem Avalkreditgeber erhält. Beistandsversprechen des Avalkreditgebers gegenüber dem Schuldner der Hauptforderung erfüllen den Tatbestand nicht, wenn dem Gläubiger der Hauptschuld daraus kein eigenständiges Forderungsrecht erwächst.
Garantien
Die BaFin nimmt weiterhin Produktgarantien (d. h. das Einstehen für die Qualität des eigenen Produkts) aus dem Tatbestand des Garantiegeschäfts heraus. Neu im Merkblatt Neu ist die Klarstellung, dass unter Produktgarantien nicht nur das Einstehen für die Qualität der eigenen Ware, sondern auch das Einstehen für den Mindesterfolg in geldlicher Hinsicht der eigenen Dienstleistung zu verstehen ist. Entscheidend für das Vorliegen einer (nicht erlaubnispflichtigen) Produktgarantie ist, dass sich die Garantie auf ein eigenes Produkt, eine eigene Dienstleistung oder eigenes Versprechen bezieht. Das Einstehen für fremde Produkte, Dienstleistungen oder Versprechen stellt wiederum eine Garantie im Sinne des Garantiegeschäfts dar.
Sonstige Gewährleistungen
Hinsichtlich sonstiger Gewährleistungen benennt das Merkblatt Neu weitere Beispiele und Ausnahmen, die bereits in der Literatur anerkannt waren.
Sonstige Gewährleistungen im Sinne des Garantiegeschäfts sind z. B. das Akkreditiv (letter of credit) und vertraglich eingeräumte Andienungsrechte des Darlehensgebers. Letter of credits sind Schuldverhältnisse mit der Verpflichtung eines Kreditinstituts, nach Weisungen eines Auftraggebers bei Vorlage bestimmter Dokumente innerhalb eines bestimmten Zeitraumes Zahlungen an einen bestimmten Zahlungsempfänger zu leisten. Vertraglich eingeräumte Andienungsrechte berechtigen Darlehensgeber, bei nicht ordnungsgemäßer Bedienung des Rückzahlungs- oder Zinsanspruchs, die Abnahme der für das Darlehen gestellten Sicherheiten zu einem bestimmten Kaufpreis zu verlangen.
Keine sonstigen Gewährleistungen sind Schuldübernahmen (im Gegensatz zu Schuldbeitritten), wie das Merkblatt Neu jetzt klarstellt. Schuldübernahmen unterscheiden sich von Schuldbeitritten insoweit, als eine fremde Schuld zu 100 % übernommen wird und der vorherige Schuldner frei von der Schuld wird. Bei einem Schuldbeitritt bleibt der ursprüngliche Schuldner weiterhin in der Haftung; der Beitretende übernimmt eine Mithaftung.
Leider unterlässt es die BaFin auch in dem Merkblatt Neu, generelle Kriterien zu formulieren, bei deren Vorliegen sie von einer „sonstigen Gewährleistung“ ausgeht. Der Tatbestand der „sonstigen Gewährleistung“ bleibt also nach wie vor eher im Dunklen.
Übernahme für andere
Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen müssen zudem „für andere“ (d. h. für die Verbindlichkeit eines anderen) übernommen werden, um als Garantiegeschäft qualifiziert zu werden. Schon in dem Merkblatt Alt hatte die BaFin anerkannt, dass nicht jeder Dritte „ein anderer“ im tatbestandsmäßigen Sinne ist. Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn das Geschäft, für das sich der Betreiber verbürgt, in seinem eigenem Interesse liegt. Ein entsprechendes Interesse des Betreibers, dass das Vorliegen eines erlaubnispflichtigen Garantiegeschäfts ausschließt, hat die BaFin in drei Fallgruppen anerkannt:
Konzern
Wie schon im Merkblatt Alt hält die BaFin daran fest, dass die Bürgschaft, Garantie oder sonstige Gewährleistung, die ein Unternehmen für ein konzernangehöriges Unternehmen stellt, nicht dem Tatbestand des Garantiegeschäfts unterfällt. Diese Regelung gilt allerdings nur für Unterordnungskonzerne; auf Gleichordnungskonzerne ist sie nicht anwendbar.
Die BaFin erweitert diese Privilegierung dahingehend, dass in besonders gelagerten Fällen auch die Bürgschaft des Mehrheitsgesellschafters für Verbindlichkeiten seiner Gesellschaft auch ohne Bestehen eines Konzernverbunds kein erlaubnispflichtiges Garantiegeschäft ist.
Enger wirtschaftlicher Zusammenhang
Ein erlaubnispflichtiges Garantiegeschäft ist weiterhin im Falle eines engen wirtschaftlichen Zusammenhangs zwischen Grundgeschäft und Garantiegeschäft zu verneinen. In dem Merkblatt Neu führt die BaFin zwar mehrere Beispiele an, bei denen ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang anzunehmen ist. Leider fehlen jedoch auch im Merkblatt Neu abstrakte Kriterien, bei deren Vorliegen ein ausreichend enger wirtschaftlicher Zusammenhang aus Sicht der BaFin angenommen werden kann.
Als wirtschaftlich bedeutendsten Fall benennt die BaFin Garantien von Unternehmen im Rahmen der Veräußerung eines Forderungsbestandes, z. B. bei einer Asset Backed Securities-Transaktion. Ein weiteres Beispiel ist die schon im Merkblatt Alt genannte Absatzfinanzierung, bei der sich der Händler gegenüber einem Kreditinstitut für den Kredit an seinen Kunden verbürgt, um selbst keine Teilfinanzierung mit seinem Kunden vereinbaren zu müssen. Ein weiteres Beispiel ist die Übernahme von Bürgschaften durch einen der Auftragnehmer für andere Auftragnehmer im Rahmen eines industriellen Großvorhabens (joint venture).
Abgrenzend führt die BaFin aus, dass ein entfernteres, insbesondere nur mittelbares Interesse, dass der Gewährleistende am zu sichernden Grundgeschäft hat, nicht ausreicht, um ein erlaubnispflichtiges Garantiegeschäft auszuschließen. Wie in dem Merkblatt Alt verweist die BaFin auch in dem Merkblatt Neu in diesem Zusammenhang auf die Übernahme des Delkredere durch einen Kreditvermittler für die von ihm vermittelten Geschäfte, die ein Garantiegeschäft darstelle. Als weiteres Beispiel für ein entfernteres Interesse, das ein erlaubnispflichtiges Garantiegeschäft nicht ausschließt, benennt die BaFin einen Baumaterialienlieferanten, der Verbindlichkeiten des Bauherrn gegenüber den Bauhandwerkern beitritt, um dadurch das Voranschreiten des Bauwerks und damit die Werthaltigkeit seiner eigenen Forderungen an den Bauherrn zu sichern.
Unentgeltliche Bürgschaften und sonstige Gewährleistungen zur Vermeidung von Lieferengpässen in vertikalen Wertschöpfungsketten
Als neue Fallgruppe, bei der ein erlaubnispflichtiges Garantiegeschäft nicht vorliegen soll, nennt die BaFin unentgeltliche Bürgschaften und sonstige Gewährleistungen, die zur Vermeidung von Lieferengpässen in vertikalen Wertschöpfungsketten zugunsten eines Lieferanten gestellt werden. Das eigene wirtschaftliche Interesse wird durch die Unentgeltlichkeit der Übernahme der Bürgschaft dokumentiert.
Gewerbsmäßigkeit
Nur ein Garantiegeschäft, das gewerbsmäßig oder in einem kaufmännischen Umfang betrieben wird, löst die Erlaubnispflicht aus. Gewerbsmäßigkeit wird von der BaFin grundsätzlich angenommen, wenn der Betrieb der Geschäfte auf eine gewisse Dauer angelegt ist und der Betreiber ihn mit der Absicht der Gewinnerzielung verfolgt. Neu ist, dass nach Ansicht der BaFin eine „indirekte“ Gewinnerzielungsabsicht ausreichend ist. Weiterhin führt die BaFin aus, dass die Vermeidung von Verlusten der Absicht der Gewinnerzielung gleichstehe und der Gewinn sich planmäßig auch in einem anderen Geschäftssegment und in einem anderen Unternehmen realisieren könne. Diese Formulierungen führen zu einer Ausdehnung des Kriteriums der Gewerbsmäßigkeit und werfen aufgrund ihrer Unschärfe für die Praxis neue Fragen auf.
Fazit
Zu begrüßen ist, dass das Merkblatt Neu die Tatbestandsmerkmale des Garantiegeschäfts insbesondere durch die Darstellung von mehr Beispielen als bisher weiter konkretisiert. Allerdings unterlässt es die BaFin, griffige Abgrenzungskriterien für die Tatbestandsmerkmale „sonstige Gewährleistung“ und „Übernahme für andere“ zu formulieren. Hier verbleiben also Unsicherheiten für die Praxis. Neue Fragen werden zudem durch die weite Interpretation des Merkmals der Gewerbsmäßigkeit hervorgerufen. Da das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit generell für die Erlaubnispflicht von Bankgeschäften und Finanzdienstleistungen von Bedeutung ist, beschränken sich die damit verbundenen Unsicherheiten nicht nur auf das Garantiegeschäft.
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