Kreditkartensättigung und Debitkartenboom in Deutschland?

Kreditkartensättigung und Debitkartenboom in Deutschland? | Hugo Godschalk für PayTechLaw | Cover picture: AdobeStock/abimagestudio

Die Anzahl der ausgegebenen Kreditkarten1  ist 2021 gegenüber 2020 laut der Zahlungsverkehrsstatistik der Bundesbank um 6% (bei den sog. Charge Cards) bzw. um 0,9% (bei den „echten Kreditkarten mit revolving credit) gesunken. Das ist auf den ersten Blick überraschend. Seit Jahren wachsen diese Zahlen kontinuierlich. Was sind die Ursachen? Im benachbarten Blog „Finanz-Szene“2 sieht Christian Kirchner auf Grund dieser Zahlen bereits eine mögliche Sättigung im Kreditkartenmarkt und eine Trendumkehr. In der neuen Ausgabe der Zeitschrift „Karten“3 mutmaßt die Redaktion einen Verdrängungseffekt durch Buy-Now-Pay-Later“-Produkte (BNPL). Sollten wir zum Schwanengesang ansetzen? Das kann man unter der Dusche mal ausprobieren, für ein kollektives Singen gibt es (noch?) keine Gründe.

 

Umsatz steigt!

Das wichtigste Gegenargument zuerst. Das Zahlungsvolumen (in Euro), das mit diesen beiden Kreditkartentypen generiert worden ist, stieg 2021 gegenüber 2020 kräftig:

  • Charge Cards: +8,6%
  • Revolving Credit Cards: +14,0%

Der Umsatz hat zwar noch nicht das Vor-Corona-Level des Jahres 2019 erreicht, aber die Wachstumsraten im Corona-Jahr 2 lassen sich sehen. Das Wachstum mit Debitkarten betrug übrigens „nur“ 7,8%. Darauf komme ich gleich noch zurück. Für eine Marktbetrachtung soll man sich an dem entscheidenden Faktor „Zahlungsvolumen“ orientieren. Die Anzahl der dafür genutzten Karten ist sekundär. Vieles deutet auf eine Bereinigung der nicht oder wenig genutzten Karten als Folge von steigenden Karteninhabergebühren: Effizienzgewinn und weniger Plastikmüll statt Marktsättigung.

 

Effekte des Cross-border Issuings

Zweitens steigt auch in Deutschland die Bedeutung der grenzüberschreitenden Kartenausgabe durch Issuer, die in Deutschland und im europäischen Ausland ansässig sind. Die Statistik der Bundesbank zeigt nur die Karten, die durch die hier ansässigen Issuer herausgegeben sind. Je nach Umfang des cross-border Issuing sind die Issuing-Zahlen der Bundesbank als Indikator für die Nutzung von Karten durch deutsche KarteninhaberInnen gegebenenfalls nicht mehr maßgeblich. Das gilt auch für andere Länder. In Litauen ist z. B. der Umsatz der von inländischen Issuer herausgegeben Karten 2021 um 174% gestiegen. Der Hauptgrund für dieses Riesenwachstum sind nicht die spendierfreudigen KarteninhaberInnen in Litauen, sondern der Brexit-bedingte Umzug von einigen Issuern aus dem UK nach Litauen, darunter Revolut. Die meisten von Revolut ausgegebenen Karten werden nicht von Litauern genutzt, sondern von KarteninhaberInnen in anderen Mitgliedsstaaten, darunter in Deutschland. Ohne Verständnis der Systematik der EZB-Statistik können Länder-Zahlen schnell zu falschen Schlussfolgerungen bezüglich der jeweiligen nationalen Marktentwicklung führen. Gerade im Bereich der Kreditkarten spielt das cross-border Issuing in Deutschland mittlerweile eine große Rolle. Die in Luxemburg ansässige Advanzia Bank gibt z. B. ca. 1,75 Millionen Karten (+7% gegenüber Vorjahr) an deutsche Karteninhaberinnen heraus (2021). Diese Zahl und die zugehörigen Umsätze schlagen in der Statistik für Luxemburg auf. Wenn die Advanzia Bank ihren Sitz von derzeit Munsbach (LU) nur 16 Km entfernt in die Grenzstadt Wincheringen (DE) verlagern würde, stiege die Anzahl der Kreditkarten mit Kreditfunktion in der Bundesbankstatistik um satte 36%. Luxemburg würde dagegen in diesem Segment ca. 90% verlieren. Der grenzüberschreitende Umzug eines einzigen Issuers kann also das Zahlenwerk ordentlich durcheinanderbringen. Die Rolle dieses Zahlungsinstruments in dem nationalen Markt bliebe aber unverändert. Die länderbezogene EZB-Statistik verliert durch die Zunahme des cross-border Issuings allmählich seinen Bezug zum nationalen Markt.

Zurück zu den Zahlen für Deutschland. Wenn 2021 ein bislang in Deutschland ansässiger Kreditkarten-Issuer in einen anderen Mitgliedsstaat umgezogen wäre, müssten nicht nur die Anzahl der Kreditkarten, sondern auch die Umsätze gesunken sein. Das ist aber nicht der Fall.

 

Wettbewerb ausländischer Issuer?

Drittens: Wenn man die Veränderung der Kartenzahlen pro Segment betrachtet, ist es auffällig, dass nicht nur bei Privatbanken, sondern auch bei den Sparkassen und Genossenschaftsbanken die Zahlen im Bereich der Charge Cards „durch die Bank“ in fast identischer Höhe rückgängig sind. Da Sparkassen und Genossenschaftsbanken in der Regel nicht ins Ausland umziehen, scheidet zumindest in diesen Segmenten der oben dargelegte Faktor „Umzug ins Ausland“ aus. Die in Deutschland ansässigen Issuer könnten allerdings Marktanteile an „aggressive“ ausländische Issuer verloren haben. Auch hier müsste der Kartenumsatz aber analog gesunken sein. Vielleicht sind auch nur die „schlechten“ KarteninhaberInnen mit Mini-Umsätzen zum ausländischen Issuer gewandert.

 

Trendlinie zeigt Wachstum.

Viertens sind nicht nur wegen der Systematik der EZB-Statistik die nationalen Zahlungsverkehrsdaten der Zentralbanken hinsichtlich der Entwicklung in nationalen Märkten mit Vorsicht anzuwenden. Die LeserInnen meiner Blogbeiträge kennen meine Skepsis bezüglich der Qualität des erhobenen Datenmaterials.4 Widersprüchliche Zahlen – auch im deutschen Zahlenwerk – werden offensichtlich ohne Plausibilitätsprüfung veröffentlicht. Bislang sind wir davon ausgegangen, dass der Rückgang der Anzahl der Kreditkarten auf „richtige“ und damit realistische Zahlen für 2020 und 2021 basiert.

Sind die Daten plausibel? Betrachten wir die Charge Cards etwas genauer. Der Rückgang 2021 (minus 6%) ergibt sich nur dadurch, dass die Zahl im Jahr 2020 weit überdurchschnittlich mit 10% gestiegen ist. Wenn es dieses Extremwachstum 2020 vorher nicht gegeben hätte, entspräche der Wert 2021 der mittelfristigen Trendlinie eines kontinuierlichen Wachstums. Eine Zunahme in Höhe von 3,2 Millionen Charge Cards in einem Kalenderjahr – wie angeblich 2020 – hat es in Deutschland bislang noch nie gegeben. Im gleichen Jahr bricht der Umsatz mit diesen Karten – lockdownbedingt – insgesamt um fast 20% ein. Sowohl der physische Einkauf als auch der E-Commerce (minus 10%) waren betroffen. Nun entsteht der Nutzen einer Kreditkarte vorwiegend durch die Nutzung als Zahlungsmittel. Die Zeiten der Kreditkarte als Statusvorzeigesymbol sind vorbei. Warum steigt die Nachfrage nach einem Produkt massiv bei gleichzeitigem drastischem Rückgang dessen Nutzung? Vielleicht waren es im Lockdown die Newcomer in der digitalen Einkaufswelt, die der Ansicht waren, ohne Kreditkarte läuft da nichts. Spätestens beim Netflix-Abo haben sie dann gemerkt, dass man auch ohne Kreditkarte bequem mit PayPal oder Lastschrift zahlen kann. Die Karte wurde dann nach einem Jahr 2021 gekündigt. Eine andere plausible Erklärung – außer dass die Bundesbankzahlen zur Anzahl der Kreditkarten einfach fehlerhaft sind – fällt mir nicht ein.

 

Mein Fazit:

Das vom Lockdown 2020 erheblich beeinträchtige Kreditkartengeschäft hat sich wieder weitgehend erholt. Die Nutzung stieg 2021 um 9%. Der Bestand wurde durch geschickte Preispolitik um inaktive Karten bereinigt. Eine Marktsättigung in Bezug auf die entscheidende Nutzung ist nicht erkennbar.

 

Meine Prognose:

Mit der Erholung könnte es 2022 vorbei sein. Das nächste Unwetter prasselt schon auf uns runter. Das Konsumbarometer des HDE ist wegen Inflation und Energiekrise jetzt im Spätsommer bereits niedriger als im Corona-Frühling 2020.5 Die Wirtschaftskrise, deren Höhepunkt noch nicht absehbar ist, wird das Kreditkartengeschäft erheblich beeinträchtigen.

 

ELV und Cashback als Wachstumstreiber bei Debitkarten

Das Wachstum im Bereich der Debitkarten ist in Deutschland ungebrochen. Nicht mal Corona konnte das Wachstum bremsen. Im Gegenteil, der Umsatz stieg 2020 um 15,5%. Die Anzahl der von in Deutschland ansässigen Anbietern ausgegebenen Debitkarten stieg 2021 um 2,5% auf 121,3 Mio., der Umsatz mit diesen Karten aber um 7,8% (Quelle Bundesbank). Die Wachstumsrate des Zahlungsvolumens hat sich 2021 gegenüber 2020 demnach halbiert.

Der Umsatz wird zu ca. 88% von der deutschen Girocard generiert. Der Rest ist Umsatz mit Debitkarten von Mastercard und Visa. ELV-Umsatz mit der Girocard ist nicht in diesen Zahlen enthalten. Peu à peu verliert die Girocard allerdings Marktanteile gegenüber der Konkurrenz der internationalen Kartensysteme. Der Marktanteil auf Basis des Zahlungsvolumens  betrug 2019 noch 91%.

Deutsche Kreditwirtschaft (DK) als Systemeigentümerin überschlägt sich fast mit regelmäßigen Erfolgsmeldungen. Für 2021 meldete sie ein Wachstum um 7,2%. Zwei wichtige Wachstumstreiber erwähnt die DK in ihren Pressemitteilungen6 allerdings nicht. Erstens ersetzt die Girocard seit 2018 in einem erheblichen Umfang jährlich ELV-Zahlungen. Der ELV-Umsatz hat sich seitdem halbiert. Zweitens enthält die Girocard-Statistik weiterhin auch die meisten Bargeldauszahlungen am POS (Cashback), die mittels dieser Karte erfolgen. Diese „Girocard-Zahlungen“ verzeichnen ein rasantes Wachstum. Mit einem geschätzten Umfang von über 2% des Girocard-Umsatzes fällt dieser Wachstumsfaktor mittlerweile statistisch ins Gewicht. Nach unseren Berechnungen, die wir im nächsten PaySys-Report veröffentlichen werden, betrug das „echte“ bzw. natürliche Wachstum der Girocard-Zahlungen 2021 ca. 4,4% (statt 7,2%). Der Rest ist ELV-Substitution und Cashback.

 

Goodbye Karte?

Trotz Relativierungen: Debit- und Kreditkarten zeigen in Deutschland derzeit noch keine Anzeichen einer Marktsättigung.

Manche Fern-Seher in der Branche orakeln aber schon das Ende der Karten-Ära, egal ob debit oder credit. (Instant) Account-to-account-Zahlungen (A2A) würden am POS und im E-Commerce die Kartenzahlung verdrängen. Die Prognosen für den Anteil am bargeldlosen Kuchen variieren von 25 bis 50% für das Jahr 2030. Nimmt man die fantastischen Prognosen der gehypten BNPL-Zahlung dazu, werden wir 2030 wohl vorwiegend A2A oder BNPL machen. Was soll ich dazu sagen? Am besten antwortet Wilhelm Busch: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.


[1] Im Volksmund und in der Nicht-Fach-Presse werden unter Kreditkarten in der Regel die Karten mit den Brands der internationalen Kartenverfahren Amex, Mastercard und Visa verstanden. In diesem Beitrag richten sich die Begriffe Kredit- und Debitkarte nach den statistischen Definitionen der EZB, die weitgehend mit der Legaldefinition der EU Interchange Fee Verordnung (2015) übereinstimmen.

[2] https://finanz-szene.de/payments/trendumkehr-nach-jahrzehnten-zahl-der-kreditkarten-sinkt-drastisch/

[3] https://www.kreditwesen.de/cards/themenschwerpunkte

[4] https://paytechlaw.com/zahlenmystik-zahlungsverkehrsstatistiken/

[5] https://einzelhandel.de/konsumbarometer

[6] https://www.girocard.eu/presse-mediathek/pressemitteilungen/2022/girocard-jahreszahlen-2021/

 

 

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