Hat die BaFin eine neue Sicht auf Rabattsysteme?

Hat die BaFin eine neue Sicht auf Rabattsysteme? | Dr. Hugo Godschalk

Die Ausgabe von E-Geld wird (zuerst noch unter der Bezeichnung Geldkarten- und Netzgeldgeschäft) seit 1998 in Deutschland reguliert. Seit diesem Zeitpunkt schlummert die Frage so vor sich hin, ob Bonuspunkte in einem händlerübergreifenden Rabattsystem die Tatbestandsvoraussetzungen des E-Geldes erfüllen. Und: Wenn ja, ob und unter welchen Voraussetzungen kann eine Bereichsausnahme in Anspruch genommen werden? Die Diskussion feiert derzeit ihr 25-jähriges Jubiläum. Es gab in dieser Zeit dazu eine Anfrage im Bundestag, eine Aussage der Bundesregierung in der Gesetzesbegründung zur Umsetzung der zweiten E-Geld-Richtlinie (2010), mehrere Gerichtsprozesse, Für- und Wider-Aussagen in der Fachliteratur und nicht zuletzt unterschiedliche Positionen der BaFin in den jeweiligen Merkblättern zum ZAG (2011, 20171 und 20232).

 

E-Geld mit Marktrelevanz

Die Diskussion wird innerhalb der EU insbesondere in Deutschland geführt. Das ist nicht verwunderlich, da händlerübergreifende Rabattsysteme hier zu Lande weit verbreitet sind. Neben den bekannten bundesweiten Systemen Lufthansa Miles & More, Payback und DeutschlandCard gibt es schätzungsweise 50 lokale und regionale Systeme, die bislang unter „City-Cards“ subsumiert wurden.

Die von in Deutschland ansässigen Zahlungsdiensteanbietern ausgegebenen monetären Werteinheiten, die als E-Geld reguliert werden, sind dünn gesät. Ende 2021 meldet die Bundesbank einen Betrag von insgesamt 184 Mio. Euro, etwa 2,20 Euro E-Geld in der (digitalen) Tasche pro Einwohner. Dieser Einwohner macht statistisch nur 0,3 Zahlungen mit diesem „deutschen“ E-Geld. Tendenz sinkend. Die Zahl würde schlagartig nach oben schießen, wenn nicht nur das im Ausland ausgegebene E-Geld dazugezählt wird (insbesondere PayPal), sondern auch die Bonuspunkte. Das Rabattsystem Payback veröffentlicht beispielsweise entsprechende  Zahlen. Der derzeit mit Payback incentivierte Umsatz der Partnerunternehmen beträgt 38,8 Mrd. € p.a. (2007: 15,1 Mrd. €). Dabei wurden Bonuspunkte in einem Wert von 500 Mio. € von ca. 31 Mio. Konsumenten gesammelt (2007: 151,8 Mio. €). Bereits über 10 Mio. Teilnehmer nutzen die Payback-App, mit der man unmittelbar mit Punkten an der Kasse bezahlen kann.

 

Bonuspunkte als E-Geld

Das Grundprinzip der großen und kleinen händlerübergreifen Rabattsysteme ist immer gleich. Es gibt einen Herausgeber der Bonuspunkte und eine Vielzahl von Partnerunternehmen, die den Umsatz ihrer Kunden durch Punkte-Schenkung incentivieren und die Punkte als monetäre Werteinheiten als Zahlungsmittel akzeptieren. Die ausgegebenen und eingelösten Werteinheiten werden mit dem Herausgeber intern verrechnet.

Die Argumente, dass diese Bonuspunkte die Tatbestandsvoraussetzungen der Legaldefinition des E-Geldes (gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 ZAG) erfüllen, sind überzeugend: Die Punkte, Meilen usw. sind monetäre Werte, die gegen Zahlung eines Geldbetrags emittiert werden. Sie sind eine Forderung gegen den Emittenten und sie werden zur Durchführung von Zahlungsvorgängen zum Erwerb von Waren oder Dienstleistungen von Händlern akzeptiert, die nicht mit dem Emittenten identisch sind.

Trotz diesem Befund agieren die Rabattsysteme in Deutschland offensichtlich erlaubnisfrei. Auch finden wir die Systeme bislang nicht im BaFin-Register der Emittenten, die die Bereichsausnahme gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 10 Bst. a ZAG („begrenzte Netzwerke“ oder auch LNE – Limited Network Exclusion genannt)3 in Anspruch nehmen. Man sollte davon ausgehen, dass zumindest die bundesweiten Rabattsysteme den für die Registrierung gesetzten Schwellenwert eines jährlichen Zahlungsvolumens in Höhe von 1 Mio. Euro erreicht haben.

Über die Gründe kann man spekulieren. Ist es die unklare Rechtslage? Fliegen die Rabattsysteme unter dem Radar der BaFin? Gibt es übergeordnete politische Gründe?

 

Bisherige Positionen

In der damaligen Gesetzesbegründung zur Umsetzung der zweiten E-Geld-Richtlinie (20104) war der Wille des Gesetzgebers eigentlich ziemlich klar:

Unter bestimmten Voraussetzungen können Rabattsysteme die Bereichsausnahme „begrenzte Netzwerke“ (LNE) in Anspruch nehmen. Es ist demnach davon auszugehen, dass die Bonuspunkte in dem zugrundeliegenden Rabattsystem die Tatbestandsvoraussetzungen des E-Geldes erfüllen, weil es anderenfalls nicht auf das Vorliegen einer Bereichsausnahme ankäme. Für die Inanspruchnahme der LNE sollten nach Ansicht der Bundesregierung drei Kriterien erfüllt sein:

  • Regionale Begrenzung (wie z. B. City-Cards),
  • Keine Existenz der nur-einlösenden Akzeptanzstellen,
  • Ausgabe der Bonuspunkte nur beim Erwerb einer Ware oder Dienstleistung.

Das erste ZAG-Merkblatt der BaFin (2011) spiegelte diese Position mehr oder weniger wider. Im zweiten ZAG-Merkblatt (2017), das bis vor kurzem maßgeblich war, postulierte die BaFin eine aufsichtsrechtliche „Sonderbehandlung“ für Rabattsysteme, die zwar etwas verklausuliert formuliert war, aber aufs Folgende hinaus lief:

Das erste Kriterium wurde aufgehoben. Damit konnten auch bundesweit agierende Rabattsysteme die LNE in Anspruch nehmen. Die beiden anderen Kriterien blieben gültig. Das dritte Kriterium wurde ergänzt durch eine Konkretisierung, nachdem der Zukauf von Bonuspunkten (mutmaßlich durch Endkunden) nicht zulässig war. Wenn beiden Kriterien nicht erfüllt waren, galt die Sonderbehandlung nicht mehr. Das Rabattsystem sollte in dem Fall die LNE- Kriterien erfüllen (z. B. die regionale Begrenzung). Diese Position der BaFin wich allerdings schon von der Regierungsbegründung (2010) ab, wonach „solche Rabattsysteme schon mit Rücksicht auf den Gläubigerschutz regelmäßig nicht mehr unter die Bereichsausnahme“ fallen sollten.

 

Aussagen der BaFin im neuen ZAG-Merkblatt (2023)

Es sieht danach aus, dass die BaFin die bisherige Sonderbehandlung hat fallen lassen. Zumindest der Passus mit Bezug auf diese Sonderbehandlung ist gestrichen worden. Stattdessen heißt es im Abschnitt Bereichsausnahmen für E-Geld (§ 1 Abs. 2 Satz 4 ZAG) nun:

 

Rabattsysteme, die den Zukauf von monetären Werten zulassen, und bei denen ihrerseits als Zahlungsmittel einsetzbare Bonuspunkte ausschließlich bei einem Warenkauf oder bei der Bezahlung einer Dienstleistung anfallen, können unter die Bereichsausnahme des § 2 Abs. 1 Nr. 10 ZAG fallen.“

(Hervorhebungen durch die BaFin im Original)

 

Zuerst fällt der Widerspruch auf. Ein Rabattsystem kann nicht den Zukauf zulassen und gleichzeitig Bonuspunkte ausschließlich beim Erwerb von Waren und Dienstleistungen vergeben. Vermutlich ist der Widerspruch dadurch entstanden, dass man gestrichene Satzteile aus dem bisherigen Merkblatt zum Teil an anderer Stelle in einem neuen Kontext wieder eingefügt hat.

Zweitens wirft der Satz mehr Fragen als Antworten auf. Was ist mit einem Rabattsystem, in dem Partnerunternehmen z.B. Punkte anlässlich einer Kundenveranstaltung verlosen? Keine Inanspruchnahme der LNE? Die gleiche Frage stellt sich bezüglich Rabattsystemen, die keinen Zukauf ermöglichen. Fehlt hier vielleicht das Wort „auch“? Können nicht nur Rabattsysteme ohne Zukauf (siehe damalige Gesetzesbegründung), sondern jetzt auch Systeme mit Zukauf unter die LNE fallen?

Und: Spielt das Kriterium „Existenz nur-einlösender Stellen“ noch eine Rolle? Welche Emittenten von Bonuspunkten können nicht unter die Bereichsausnahme fallen und betreiben demnach das erlaubnispflichtige E-Geld-Geschäft?

Es wäre hilfreich gewesen, wenn die BaFin einen Satz zur grundsätzlichen Einstufung von Rabattsystemen vorangestellt hätte, bevor man auf die Inanspruchnahme einer Bereichsausnahme eingeht.

Nun geht das neue Merkblatt noch an anderer Stelle auf die Rabattsysteme ein und zwar im Abschnitt zur Erläuterung des E-Geld-Definitionskriteriums „Ausstellung gegen Zahlung eines Geldbetrages“:

 

„Bei einem schenkweisen Ausstellen von monetären Werten durch den Emittenten liegt kein E-Geld im Sinne der Definition vor. Das kann beispielsweise bei einem elektronischen Geschenkgutscheinsystem im Handel der Fall sein, mit dem Kundenreklamationen dergestalt reguliert werden, als dass der emittierende Händler „gratis“ und aus Kulanz im Nachgang zur Bearbeitung einer Reklamation eine Geschenkgutscheinkarte an den Kunden gibt oder bei elektronisch gespeicherten Bonuspunkten, die der Kunde anlässlich des Erwerbs von Waren oder Dienstleistungen schenkweise erhält. (…) Können dagegen monetäre Werte gegen Zahlung eines Geldbetrages hinzugekauft werden, sind auch die zuvor schenkweise ausgegebenen monetären Werte als E-Geld zu qualifizieren. Gleiches gilt für Rabattsysteme, in denen Akzeptanzstellen vorhanden sind, die sich ausschließlich der Einlösung, nicht aber der Herausgabe der Werteinheiten widmen.“

(Unterstreichung der gegenüber dem Merkblatt 2017 neuen Sätze durch den Verfasser)

 

Ohne Zukaufoption und ohne die Existenz nur-einlösender Stellen sind nach Ansicht der BaFin Bonuspunkte, die nur an Endkunden verschenkt werden (von wem?) offensichtlich nicht länger als E-Geld zu qualifizieren. Gegenüber dem bisherigen ZAG-Merkblatt werden jetzt im neuen Merkblatt also die beiden oben genannten Kriterien von einer Voraussetzung zur Inanspruchnahme der Sonderbehandlung der als E-Geld qualifizierten Bonuspunkte zu rabattsystemspezifischen Tatbestandsvoraussetzungen für die E-Geld-Qualifikation der Bonuspunkte mutiert.

 

Auch neue Wege haben schöne Steine

Demnach würde das neue Merkblatt – zwar verklausuliert, widersprüchlich und wenig systematisch – eine völlig neue Sichtweise der BaFin bezüglich der aufsichtsrechtlichen Bewertung von Rabattsystemen zum Ausdruck bringen, die sich wie folgt darstellen könnte:

Monetäre Werteinheiten (Bonuspunkte), die in einem Rabattsystem händlerübergreifend als Zahlungsmittel eingesetzt werden können, qualifizieren sich nicht als E-Geld, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:

 

  • Die monetären Werteinheiten werden ausschließlich vom Emittenten verschenkt (keine Ausgabe gegen Zahlung eines Geldbetrages („Zukauf“).
  • Die monetären Werteinheiten können als Zahlungsmittel nur bei Händlern genutzt werden, die auch als Vertriebspartner des Emittenten bei der Herausgabe der Bonuspunkte tätig sind (keine nur-einlösenden Akzeptanzstellen).

 

Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, sind Bonuspunkte regelmäßig als E-Geld einzustufen. Der Emittent kann die LNE gemäß §2 Abs. 1 Nr. 10 ZAG in Anspruch nehmen, wenn die üblichen erforderlichen LNE-Kriterien (z. B. regionale Begrenzung) erfüllt sind. Auch wenn der Zweck bei dieser Interpretation der BaFin-Sichtweise nicht länger erkennbar ist, dürfen die Bonuspunkte (offensichtlich neben dem Zukauf) als zusätzliche LNE-Voraussetzung ausschließlich bei einem Warenkauf oder bei der Bezahlung einer Dienstleistung anfallen. Soweit zur neuen, mutmaßlichen Sichtweise der BaFin.

Können nun die Betreiber der Rabattsysteme sich endlich nach 25 Jahren beruhigt zurücklegen?

 

Geschenkt ist geschenkt?

Meines Erachtens nicht. Aus dem ersten Satz des oben zitierten Abschnitts des neuen Merkblatts geht hervor, dass der Emittent die Werteinheiten im Ausgabeprozess verschenkt und damit das E-Geld-Kriterium „Ausstellung gegen Zahlung eines Geldbetrages“ nicht erfüllt. Denn sonst bleibt E-Geld, das verschenkt wird, natürlich E-Geld.

Im Beispiel der BaFin handelt es sich um einen „emittierenden Händler“, der monetäre Werteinheiten an seine Endkunden verschenkt. Ein solcher Fall liegt in der Praxis vor, wenn z. B. eine Fluggesellschaft bei einer Verspätung eine proprietäre Gutscheinkarte ausgibt, die bei Restaurants und anderen Händlern am Flughafen eingelöst werden kann. Die Fluggesellschaft soll schon selbst der Emittent sein. Wenn sie z. B. eine aufgeladene prepaid Kreditkarte, die von einer Bank herausgegeben wird, aus Kulanz verschenkt, muss die Karte weiterhin als E-Geld eingestuft werden. Die Fluggesellschaft wäre hier nur der Vertriebspartner eines E-Geld-Emittenten, die im Fall einer Flugverspätung die Karte auflädt, freigeschaltet und damit „ausgibt“. Der Gegenwert des aufgeladenen Betrages wird von der Fluggesellschaft an den Emittenten gezahlt.

Dieser Sachverhalt ist identisch mit einem typischen händlerübergreifenden Rabattsystem. Der Händler, der die Bonuspunkte an seine Kunden verschenkt, ist in der Regel nicht der Herausgeber der Werteinheiten. Das schenkende Partnerunternehmen ist der Vertriebspartner des herausgebenden Rabattsystembetreibers, der die Bonuspunkte keineswegs verschenkt, sondern nur gegen Zahlung eines Geldbetrages herausgibt. Im Hinblick auf den durch die E-Geld-Regulierung beabsichtigten Gläubigerschutz ist es ein entscheidender Unterschied für den Forderungsinhaber, ob der Emittent die monetären Werteinheiten bei der Ausgabe verkauft oder (ggfs. unlimitiert) verschenkt.

Nun bleibt die Frage offen, ob diese aus dem Kontext zwingend erforderliche Differenzierung (wer schenkt?) von der BaFin wegen fehlender Praxisrelevanz (in der Regel keine Emittenten als Schenker) in Bezug auf Rabattsysteme beabsichtigt ist oder nicht.

 

Legitimation und Kollateraleffekte

Wenn meine Interpretation die neue Sicht der BaFin hier richtig wiedergibt, stellt sich zum Schluss die kritische Frage nach der Legitimation des Sinneswandels. Die mutmaßliche neue Sicht der BaFin ist – trotz Fußnote mit Verweis auf die Gesetzesbegründung – weit entfernt von dem damaligen Willen des Gesetzgebers zur Regulierung der Rabattsysteme (2010). In den vergangenen Jahren gab es keine europäischen oder nationalen Gesetze bzw. Gerichtsurteile, die eine Revision rechtfertigen.

Ein Kollateraleffekt der neuen Sicht wäre die Aufhebung der Relevanz der LNE für die sog. City-Cards, die als reines Rabattsystem konstruiert sind. Für diese Art der City-Cards wäre die LNE- Inanspruchnahme und damit die regionale Begrenzung durch das sog. Postleitzahl-Kriterium aufgehoben, wenn kein Zukauf möglich ist und keine nur-einlösenden Stellen existieren.

A propos „nur-einlösende Stellen“. Vor kurzem erhielt ich als Sammler von Lufthansa-Meilen die Nachricht, dass ich mit der neuen App MilesPay5 nun die Meilen über meine Lufthansa Kreditkarte der DKB weltweit – überall dort, wo Mastercard akzeptiert – als Zahlungsmittel einsetzen kann.

Ich vermute, dass wir die Diskussion auch nach 25 Jahren noch nicht ad acta legen können.6

 

Mehr zum Thema

BaFin aktualisiert Merkblatt zum ZAG

Vergleichsversion: BaFin-Merkblatt zum ZAG

 


[1] https://paytechlaw.com/e-loyalty-to-be-or-not-to-be/

[2] https://paytechlaw.com/bafin-aktualisiert-merkblatt-zum-zag/

[3] Liste der anzeigepflichtigen Unternehmen nach §§ 2 Abs. 2 oder 3 i.V.m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 10 Bst. a oder b, Nr. 11 Bst. a oder b ZAG; derzeit wegen Überarbeitung auf der Website der BaFin nicht zugänglich.

[4] Vgl. Bundestagsdrucksache 17/3023 vom 27.09.2010, S. 41

[5] https://www.miles-and-more.com/de/de/program/daily-benefits/milespay.html

[6] Mehr dazu im Buch PayTechLaw, Das Recht der digitalen Zahlungsdienstleistungen, das demnächst erscheint.

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