Im Sommer 2021 legte die Europäische Kommission ein ambitioniertes Gesetzespaket zur Verbesserung des Kampfes gegen Geldwäsche (AML) und Terrorismusfinanzierung (CFT) vor (Stichwort „AML Package“). Das Paket enthält den Vorschlag zur Gründung einer neuen europäischen Superbehörde (AML Authority – kurz AMLA), ein Vorschlag für eine neue GW-Richtlinie (AMLD6), die die existierende Richtlinie 2015/849/EU (AMLD4) ersetzen soll. Neben der GW-Richtlinie soll eine zusätzliche EU-Verordnung („Regulation on AML/CFT“) ein einheitliches Regelwerk zur weiteren Harmonisierung bewirken (siehe auch den Beitrag „Geldwäsche 3.0“ in diesem Blog).
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Der Vorschlag zur neuen Richtlinie Nr. 6 ist kaum noch mit der bereits zwei Mal (2018 und 2019) überarbeiteten bisherigen Richtlinie zu vergleichen, da viele Regelungen in die Verordnung verschoben wurden und damit sich einer nationalen Umsetzung und ggfs. Anpassung entziehen. Einiges ist auch einfach stillschweigend unter den Tisch gefallen, darunter der Artikel 12 der derzeit gültigen Geldwäsche-Richtlinie.
Was beinhaltet Art. 12?
Der Art. 12 ermöglicht den Mitgliedsstaaten für E-Geld-Produkte, die ein geringes Risiko für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung darstellen, auf bestimmte Sorgfaltspflichten gegenüber den Kunden zu verzichten. Diese Ausnahme ermöglicht der Verzicht auf Identifizierung des E-Geld-Inhabers, wenn bestimmte Schwellenwerte eingehalten werden, wie der maximale Speicherbetrag in Höhe von 150 Euro, ein 50-Euro-Limit für den Bargeldrücktausch sowie für online Zahlungsvorgänge im Internet. Der Emittent ist aber weiterhin verpflichtet die Transaktionen, die mit diesem anonymen E-Geld getätigt werden, zu überwachen. Die Ausnahmeregelung ist optional. Mitgliedsstaaten haben weiterhin die Möglichkeit, anonyme E-Geld-Zahlungen auf ihrem Hoheitsgebiet zu unterbinden.
Der heutige Art. 12 stellt bereits eine weitere Begrenzung der ursprünglichen Ausnahme der AMLD4 von 2015 dar. Noch unter Schock der Terroristenanschläge in Paris (Nov. 2015) und Brüssel (März 2016) hatte die Kommission im Sommer 2016 eine Verschärfung der Option gefordert, da bei der Vorbereitung der Anschläge angeblich auch anonyme prepaid „Kredit“-Karten genutzt wurden. In ihrem Vorschlag forderte die Kommission sogar ein Verbot von Internetzahlungen mittels anonymer E-Geld-Produkte. Bedingt durch Proteste u. a. von Datenschützern, die ein Recht auf anonyme Zahlung im Internet zumindest für niedrige Beträge forderten, einigte man sich schließlich 2018 auf den Maximalbetrag von 50 Euro. Der Nutzen des anonymen E-Geldes entfaltet sich insbesondere bei Internetzahlungen, da im Präsenzbereich durch die Existenz des Bargeldes weiterhin ein weit verbreitetes Ersatzmedium zur Verfügung steht.
Es ist allerdings bemerkenswert, dass der Rat in dem damaligen Trilog-Prozess 2017 als Kompromiss zwischen Kommission (Verbot) und Europäischem Parlament (kein Schwellenwert) den Vorschlag machte, die 50 Euro-Grenze mit einer Übergangsperiode von 3 Jahren zu befristen. In diesem Zeitraum sollen neue technisch versierte Methoden zur reibungslosen Identitätserfassung an der Ladenkasse oder aus der Ferne entwickelt werden. Aus Sicht der europäischen Regierungen war damals die Option einer begrenzten Möglichkeit der anonymen Zahlung im Internet demnach keine „grundrechtliche“ Frage, sondern eher eine praktische Frage des technischen Fortschritts. Auf diesen Punkt komme ich noch zurück. Leider führte die damalige Initiative der SPD zur Etablierung eines Bürgerrechts „auf anonymes digitales Bezahlen“ nicht zu einer gesellschaftlichen Diskussion.
Rätselhafte Streichung ohne Begründung
Nun ist die bereits stark begrenzte Option des anonymen E-Geldes gemäß Art. 12 in den Vorschlägen der Kommission (Richtlinie und Verordnung) einfach ersatzlos gestrichen worden. Die Streichung erfolgt ohne Hinweise und ohne Begründung. Andere wichtige Änderungen, wie z. B. das Einbeziehen des Kryptohandels und Crowdfunding und die Einführung eines Limits für Bargeldzahlungen (10.000 Euro) werden ausführlich diskutiert. Zur Abschaffung des anonymen E-Geldes schweigt die Kommission in den Erwägungsgründen, aber auch in sämtlichen Begleitdokumenten, wie Q & A, Pressemitteilung usw. Auch in der ausführlichen Analyse der Folgeabschätzung der Maßnahmen („Impact Assessment“ vom 20. Juli 2021) findet man keine Analyse der Folgen dieser Maßnahme, die wenigstens an dieser Stelle erforderlich gewesen wäre.
Nur an einer Stelle findet man in der Impact Assessment einen Hinweis. Im Rahmen der Konsultation im Vorfeld des neuen AML-Pakets wurde am 30. September 2020 eine high-level Tagung organisiert, an der Vertreter von nationalen und EU-Behörden, MdEP, Vertreter des Privatsektors sowie Wissenschaftler teilnahmen. Nach Aussage der Kommission in der Impact Assessment Analyse haben zwei hochrangige Staatsanwälte in ihren Keynote-Vorträgen die derzeit wichtigsten Bedrohungen für AML und CFT angesprochen: “uncapped cash pay-ments, crowdfunding, crypto currencies and prepaid cards“ (S. 67 – Unterstreichung durch Verfasser). Die Vorträge sind heute noch aufrufbar. Von den beiden Staatsanwälten hat allerdings nur der französische Generalstaatsanwalt François Molins das Thema „prepaid cards“ in einem Halbsatz mit Verweis auf die damaligen Terroristenanschläge angesprochen. Seitdem wurde aber die Option der anonymen prepaid Karten durch Senkung der Schwellenwerte bereits erheblich eingeschränkt. Er verzichtet aber auf einen Hinweis, dass auch heute die prepaid Karten weiterhin zur Terrorismusfinanzierung genutzt werden. Die oben zitierte Aussage der Analyse ist demnach nicht richtig!
War es eine Panne?
Man könnte meinen, dass die Streichung versehentlich und unbeabsichtigt durch die Kommission erfolgt wäre. Dagegen spricht, dass Art. 12 nicht vollständig verschwunden ist. Der Artikel enthält im Absatz 3 die Regelung, dass Acquirer Zahlungen mit anonymen Guthabenkarten aus Drittländern nicht akzeptieren dürfen, es sei denn die außereuropäischen Karten erfüllen die gleichen Kriterien und Schwellenwerte, die in der EU gelten. Diese Anforderung wurde modifiziert in Art. 58 (2) der Verordnung übernommen: „Treten Kreditinstitute und Finanzinstitute als Erwerber (gemeint sind Acquirer; Anm. des Verfassers) auf, akzeptieren sie keine Zahlungen, die mit in Drittländern ausgegebenen anonymen Guthabenkarten vorgenommen werden, es sei denn, die von der Kommission gemäß Artikel 22 erlassenen technischen Regulierungsstandards lassen dies bei nachweislich geringem Risiko zu.“ Art. 22 regelt die Erstellung von technischen Standards für Sorgfaltspflichten in Bezug auf den Kunden durch die neue Behörde AMLA, die bis zu 2 Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung der Kommission zur Genehmigung vorliegen muss. Es ist also denkbar, dass die AMLA vereinfachte Sorgfaltspflichten für außereuropäische und europäische Guthabenkarten und andere E-Geld-Produkte mit geringem Risiko für AML und CFT vorschlägt, die eine anonyme Verwendung mittelfristig noch ermöglichen. Der Passus zeigt, dass die Abschaffung der heutigen Ausnahmeregelung für E-Geld kein Versehen ist.
Welche Strategie verfolgt die Kommission?
Das klammheimliche Vorgehen der Kommission ist aus meiner Sicht – gelinde gesagt – kein Paradebeispiel für einen transparenten demokratischen Prozess. Warum meidet die Kommission eine Auseinandersetzung? Über die Gründe kann man rätseln. Vielleicht hofft man, dass keiner der Betroffenen die Abschaffung merkt. Oder wartet man ab, ob sich überhaupt Widerstand formiert?
Bedingt durch diese Intransparenz ist diese mögliche Strategie bislang weitgehend aufgegangen. Gespräche mit betroffenen E-Geld-Emittenten, aber auch mit EU-Parlamentariern zeigen, dass die Abschaffung der Ausnahmeregelung in der EU weitgehend unbemerkt geblieben ist. Bislang hat nur der Prepaid Verband Deutschland (PVD) die beabsichtigte Abschaffung in einer Stellungnahme vom November 2021 öffentlich kritisiert.
Welche Produkte sind betroffen?
Nun stellt sich die Frage, welche E-Geld-Produkte heute betroffen sind. Soweit ersichtlich, gibt es nur noch in wenigen Mitgliedsstaaten Emittenten von prepaid „Kredit“-Karten der internationalen Kartenorganisationen, die von der Option Gebrauch machen. Harte oder auch nur weiche Fakten, dass diese Karten, die bei anonymer Nutzung den jeweiligen Beschränkungen des Art. 12 unterliegen, für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung genutzt werden, fehlen. Diese E-Geld-Produkte standen bislang im Visier der Kommission.
Neben dem E-Geld-Produkt Paysafecard betrifft die Abschaffung – vermutlich unbeabsichtigt – aber auch manche Geschenk- und Gutscheinkarten (Gift Cards). Je nach Ausgestaltung, Nutzungsmöglichkeiten und nationaler Regulierung werden Gift Cards in der EU aufsichtsrechtlich öfter als E-Geld eingestuft. In der Regel sind closed-loop Gift Cards (Emittent ist identisch mit der Akzeptanzstelle) kein E-Geld. Wenn diese strikte Zweiseitigkeit nicht gegeben ist, besteht die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Limited Network Exclusion (LNE gemäß Art. 3(k) der PSD2), womit diese Karten ebenfalls nicht unter die E-Geld-Regulierung fallen. Je nachdem wie die Kriterien der LNE in einem Mitgliedsstaat von der zuständigen Aufsichtsbehörde festgelegt werden, werden Gift Cards aber auch als E-Geld eingestuft. Herausgeber sind traditionelle Kreditinstitute, autorisierte E-Geld-Institute oder sog. „kleine“ E-Geld-Institute („small“ oder „exempted E-Money Institutions“ genannt). In mehreren Mitgliedsstaaten, die diese Option der zweiten E-Geld Richtlinie (EM2) in Anspruch genommen haben, wie z. B. in den Niederlanden, Dänemark und Lettland, werden oft Gift Cards als E-Geld von diesen kleinen E-Geld-Instituten herausgegeben. Da eine Identifizierung eines Gift Card Käufers naturgemäß wegen der Verschenkung ziemlich sinnlos ist, nutzen die Emittenten die heutige KYC-Ausnahmeregelung.
Auch in Deutschland werden mehrere Gift Cards als E-Geld herausgegeben, wie z. B. die Aldi-Gutscheinkarte (Hrsg.: Helaba), die Esprit Gift Card (Hrsg.: Esprit Card Services) und die Aral SuperCard (Hrsg.: B2Mobility). Ein weiteres anonymes E-Geld-Produkt ist die neue Guthabenkarte des Berliner Verkehrsbetriebes BVG (Hrsg. Helaba). Man braucht schon sehr viel Fantasie und kriminelle Energie, um mit diesen sehr begrenzt einsetzbaren Produkten Geldwäsche zu betreiben oder sogar Terrorismus zu finanzieren. Das Risiko ist nahezu null.
Die Grundsatzfrage der anonymen digitalen Zahlung
Offensichtlich geht die Kommission davon aus, dass die Identifizierung trotz des geringen Risikos jetzt zumutbar ist und durch den (von der Kommission stark geförderten) technischen Fortschritt in diesem Bereich (Stichwort: eID) kein Hindernis mehr für den Vertrieb dieser Produkte darstellt. Im Erwägungsgrund 36 der geplanten Verordnung schreibt die Kommission:
„Technologische Entwicklungen und Fortschritte bei der Digitalisierung ermöglichen bei angehenden und bestehenden Kunden eine sichere Identifizierung und Überprüfung aus der Ferne oder auf elektronischem Wege und können die Erfüllung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf den Kunden aus der Ferne erleichtern.“
Nicht alles, was machbar ist, ist auch sinnvoll, zweckdienlich und verhältnismäßig. Außerdem ist die Möglichkeit der bereits stark begrenzten anonymen digitalen Zahlung keine Second-Best-Lösung aufgrund bislang fehlender technischer Effizienz. Es ist gerade in Bezug auf Internetzahlungen eine grundsätzliche Frage. Dieses Thema erfordert eine offene gesellschaftliche Diskussion und transparente Entscheidungsprozesse.
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