Interchange Fee-Verordnung: Konjunkturprogramm für Acquirer?

Interchange Fee-Verordnung | Interchange Fee Regulation | PayTechLaw

Vermutlich war die EU-Verordnung 2015/751 über Interbankenentgelte für kartengebundene Zahlungsvorgänge – besser bekannt als die Interchange Fee-Verordnung (IF-VO) – die einschneidendste Regulierung im Zahlungsverkehr der letzten Dekade. Neben der Festsetzung von Obergrenzen für die IF-Zahlungen der Acquirer (Zahlungsdienstleister des kartenakzeptierenden Händlers) an die Issuer (Kartenherausgeber) für Verbraucherkartenzahlungen (0,2% für Debitkarten bzw. 0,3% für Kreditkarten) wurde im Kapitel III der Verordnung zusätzlich eine Reihe von Geschäftsregeln verordnet, die das europäische Kartengeschäft spätestens ab dem 9. Juni 2016 einhalten sollte.

Zum Einstieg etwas IF-Theorie

Aus ökonomischer Sicht führt (meist gut gemeinte) Preisregulierung bei funktionierendem Marktwettbewerb zu Marktverzerrungen. Entweder gehen Nachfrager leer aus (bei Preisobergrenzen) oder Anbieter bleiben auf ihrem Angebot sitzen (bei Minimumpreisen). Nun handelt es sich bei der IF nicht um einen „normalen“ Marktpreis, sondern um einen Ausgleich der externen Netzwerkeffekte in einem sog. zweiseitigen Markt. Wenn die Anbieter auf den jeweiligen Marktseiten (die der Zahler und die der Zahlungsempfänger) nur Einnahmen ihrer unmittelbaren Nachfrager erzielen können, führt der Preismechanismus nicht per se zu optimalen Ergebnissen. Ein finanzieller Ausgleich zwischen beiden Marktseiten würde Angebot und Nachfrage besser angleichen.

Es gibt einen weiteren Grund, warum die IF im Kartengeschäft bislang kein „normaler“ Preis ist. Die IF ist nicht das Ergebnis von unzähligen Verhandlungen zwischen vielen Anbietern und Nachfragern, sondern wird in der Regel „kartellmäßig“ von der bislang meist dominierenden Issuer-Seite mit multilateraler Bindung für nationale oder internationale Märkte festgelegt. Da kann man lange auf Beifall der Kartellbehörden warten.

Trotz dieser Anormalitäten hat sich aber das Zahlungsinstrument „Karte“ außerordentlich weit verbreitet. Mit Abstand ist die Karte im Vergleich zur Überweisung und Lastschrift in Europa das meistgenutzte Zahlungsinstrument. Von den durchschnittlich 272 bargeldlosen Zahlungen pro Einwohner pro Jahr werden 151 mit Karte getätigt (2018).

Die Frage, ob die Kartenzahlungsverfahren oder andere IF-Festleger in eigener Regie in der Periode vor der EU-Preisverordnung (bis Ende 2015) den für den Markt „optimalen“ Preis herausgefunden hatten, ist theoretisch interessant, aber ziemlich mühselig. Im Hinblick auf das Marktergebnis lagen die Preiskommissare der Schemes auf jeden Fall nicht voll daneben. Spannender ist die Frage, ob die Preiskommissare der Kommission mit der Einführung der IF-Obergrenzen (deren willkürliche Höhen immer noch auf eine postregulatorische Rechtfertigung warten) die Lage nun verbessert oder verschlechtert haben.

Kostenumverteilung in Milliardenhöhe

Auf jeden Fall führte die verordnete IF-Senkung primär zu einer Kostenumverteilung in Milliardenhöhe zwischen den Anbietern beider Marktseiten: Kostenentlastung für die Acquirer bzw. Einnahmeverluste für die Issuer. Was sind die Sekundärfolgen für deren Kunden? Haben die Issuer die Einnahmeverluste durch Erhöhung der Kartenpreise wettgemacht? Haben die Acquirer ihre Kostensenkung an die Händler weitergegeben?

Kostenumverteilung ist ein Null-Summen-Spiel, bei dem es naturgemäß Gewinner und Verlierer gibt. Aus Sicht der Europäischen Kommission sollte in erster Instanz der Verbraucher durch generelle Preissenkungen als Gewinner von der Regulierung profitieren. Die theoretische Transmissionskette („pass-through“-Effekt) ist simpel: Die Acquirer geben die Kosteneinsparung durch niedrigere Kartenakzeptanzgebühren an die Händler weiter. Die Händler senken daraufhin ihre Preise und der Verbraucher profitiert. Das war das Kalkül der Kommission, nachzulesen in den Erwägungsgründen der Verordnung. Dort findet man aber keinen Gedanken zu den potentiellen Verlierern. Wenn der Verbraucher (der – zumindest statistisch gesehen – auch Karteninhaber ist) gemäß Kommission als Hauptgewinner von der IF-Senkung unterm Strich profitieren soll, verbleibt nur der Issuer als einziger Verlierer übrig. Das Kalkül der Kommission setzte voraus, dass es dem Issuer nicht gelingt, seine IF-Einnahmeverluste an den Kartennutzer (Verbraucher) durch höhere Gebühren weiterzugeben. Stillschweigend ging die Kommission offenbar davon aus, dass die Gewinne der Issuer die Verluste locker abfedern oder das Kartengeschäft durch andere Geschäfte der Banken quersubventioniert werden kann. Das Ziel der Reise war beim Inkrafttreten der IF-VO wenigstens klar, der Weg aber gepflastert mit Annahmen. Was ist nun aus dem waghalsigen Blindflug der Kommission geworden?

Der unbeachtete EY/CE-Bericht

Seit dem 11. März liegt nun die von der Kommission beauftragte „Study on the Application of the Interchange Fee Regulation“ der Unternehmen Ernst & Young und Copenhagen Economics (EC) in der Endversion vor. Eine „geleakte“ draft version wurde bereits am 17. Februar in unserem benachbarten „Bargeldlosblog“ von Hanno Bender kommentiert. Die Endversion weicht aber erheblich von der Vorversion ab.

Die EY/CE-Analyse ist die Grundlage für den Review Bericht der Kommission, der jetzt am 29. Juni veröffentlicht wurde. Wie aus Brüssel verlautbart, verzichtet die Kommission auf eine Änderung der IF-VO („IFR2“).

Trotz der immensen Bedeutung der IF-VO für das Kartengeschäft war das Echo der EY/CE-Studie in der (Fach-)Presse nahezu null. Lag es am fast gleichzeitigen Corona-Lockdown? Die umfangreiche Studie (324 Seiten) wäre doch eine ausgezeichnete Lektüre im Home-Office gewesen. Oder lag es an den Ergebnissen, die vielleicht keinen vom Hocker rissen?

Schon das zentrale Ergebnis lässt aufhorchen. Die IF-Senkung beträgt für die gesamte EU „nur“ 2,7 Mrd. €. Es ist das Ergebnis der Differenz der durchschnittlichen IF-Höhe für Debit und Kreditkartenzahlungen aus der Pre-IFR-Periode (2015) und der Post-IFR-Periode (2017) multipliziert mit dem EU-Kartenzahlungsvolumen 2015. Die IF-Senkungen in Deutschland, UK und Italien haben dazu im Wesentlichen beigetragen. Da die IF-Höchstgrenzen insbesondere die Kreditkarten getroffen haben, ist es nicht überraschend, dass diese Karten mit 1,9 Mrd. € zum Ergebnis beigetragen haben.

Die Schätzung der Kommission betrug damals bei der Vorlage des Entwurfs der geplanten IF-VO (2013) immerhin ca. 6 Mrd. € (auf Basis der 2011-Volumina und der 2013-IF-Sätze). Wenn man die Hochrechnung der Kommission auf das gleiche Volumen wie die EY/CE-Studie bezieht (2015), würden sich ca. 8 Mrd. € (statt 2,7 Mrd.) ergeben. Kann man so daneben liegen? Die Schätzung der Kommission war wegen mehrerer Fehler auch damals schon mit Vorsicht zu genießen. So hat man für Debitkarten in der Regel nicht die niedrigen Sätze der jeweiligen nationalen Kartensysteme berücksichtigt. Ein weiterer Grund für die Abweichung ist die Tatsache, dass die domestic IF bereits im Vorfeld der IF-VO für die Karten der internationalen Schemes (Mastercard und Visa) in der Periode 2014-2015 in manchen Ländern zum Teil gesenkt wurde.

Gewinner

Bleiben wir deshalb bis auf weiteres bei den 2,7 Mrd. Euro, die zur Entlastung der Acquirer-Seite zur Issuer-Seite des Marktes verschoben wurden. Über diesen klassischen Windfall-Profit haben sich die Acquirer sicherlich gefreut. Gemäß der EY/CE-Analyse haben die Acquirer aber etwas weniger als die Hälfte (1,2 Mrd. €) mittels niedrigerer Kartenakzeptanzentgelte an die Händler weitergegeben (lt. EY/CE nur für Kreditkarten). Auch die haben sich natürlich über diese halbwegs faire Teilung gefreut. Ob und wieviel die Händler davon wieder via Preissenkungen an den Konsumenten weiter gegeben haben, ist eine knifflige Frage, die von den Analysten nur mittels Erfahrungswerten und Modellannahmen aus einigen Ländern geschätzt und für die gesamte EU hochgerechnet werden konnte. Auf Basis dieser Prognose („prediction“) sollten von den ursprünglich 2,7 Mrd. € letztendlich ca. 0,9 Mrd. € beim Verbraucher landen. Das entspricht ca. 1,70 Euro pro EU-Einwohner. Über deren Freude gibt es noch keine gesicherten Erkenntnisse. Auf jeden Fall ist – laut EY/CE – der Acquirer der große Gewinner der IF-VO. Er muss zwar höhere Scheme Fees bei den Card Schemes abführen (nota bene: Anscheinend nur für Debitkarten!), aber es bleiben netto 1,2 Mrd. € hängen.

Verlierer

Kommen wir zum großen Verlierer. Der Kartenherausgeber (Issuer) hat nichts zu lachen. Er wird an zwei Stellen geschröpft. Seine IF-Einnahmen werden um 2,7 Mrd. € gesenkt und zusätzlich muss er noch 270 Mio. € an Scheme Fees abdrücken. Anscheinend war es ihm kaum möglich, bei seinen Karteninhabern an der Gebührenschraube zu drehen oder bei den Karten an Kosten zu sparen (z. B. Halbierung der Bonuspunkte). Manch ein Karteninhaber würde da gefühlsmäßig widersprechen. Vermutlich ein typischer Fall von „cognitive bias“, wie die angeblich nicht vorhandene, aber gefühlte Inflation nach der Euro-Umstellung.

Infografik_PaySys Consultancy_card scheme

Die nackte Kommission

War die IFR letztendlich nur ein vom Issuer finanziertes Konjunkturprogramm für den Acquirer? Mit diesem Ergebnis würde die Kommission natürlich ziemlich nackt dastehen.

Auf die Schnelle gibt es aber einiges zum Anziehen.

Erstens, der errechnete Umfang der IF-Senkung (2,7 Mrd. €) ist zu hoch und damit auch alle „pass-through“ Sekundareffekte. Die EY/CE-Analysten multiplizieren die bei Debit- und Kreditkarten festgestellten durchschnittlichen IF-Senkungen mit dem gesamten Kartenzahlungsvolumen gemäß EZB-Statistik in Höhe von ca. 2.851 Mrd. € (Basis 2015). Die Statistik enthält immer noch den kapitalen Fehler bei den englischen Kartenvolumina, wo die ATM-Abhebungen in Höhe von 260 Mrd. € enthalten sind. Es ist unglaublich, aber der ärgerliche Fehler ist weiterhin enthalten. EZB: bitte korrigieren! Weiter muss man die Kartenzahlungen abziehen, für die die IFR-Obergrenzen nicht gelten: Firmenkarten, Drei-Parteien-Systeme und interregionale Kartenzahlungen. Anschließend muss man die Kartenzahlungen auf E-Geld-Basis wieder hinzu addieren (EY/CE und Kommission gehen irrtümlich davon aus, dass diese Kartenzahlungen nicht der IFR unterliegen). Wenn man mit den richtigen Zahlen multipliziert, sinkt der Umfang der IF-Kostenumverteilung von 2,7 auf ca. 1,8 Mrd. €. Die detaillierte Analyse finden Sie in unserem aktuellen PaySys Report Nr. 3-4.

Zweitens gibt es eine andere Untersuchung zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der IFR, die teilweise zu ganz entgegengesetzten Ergebnissen führt. Bereits im Januar 2020 hat die Unternehmensberatung Edgar, Dunn & Company (EDC) im Auftrag von Mastercard in einer Studie die Auswirkungen der IF-VO analysiert („Interchange Fee Regulation (IFR) Impact Assessment Study“). Die Analyse vergleicht 2018 (Post-IFR) mit 2014 (Pre-IFR) und berücksichtigt bei den Ergebnissen auch die Mengeneffekte (höheres Kartenvolumen 2018 gegenüber 2014). Hier einige Ergebnisse, die der EY/CE-Studie widersprechen:

  • Die Issuer konnten die IF-Verluste teilweise durch höhere Kartengebühren und Abspeckung der Loyalty-Prprogramme kompensieren,
  • Die Scheme Fees sind pro Transaktion nicht gestiegen, sondern sogar gesunken (!),
  • Es konnte keine Weitergabe der Kostensenkungen vom Händler an den Verbraucher nachgewiesen werden.

Die EDC-Analyse berücksichtigt im Gegensatz zu EY/CE auch die Änderung der Einnahmen aus dem Girokontogeschäft und der Kreditaufnahme via Kreditkarten. Hier gibt es ein überraschendes Ergebnis. Die Banken konnten die IF-Verluste (in Höhe von 5,2 Mrd. €) insbesondere durch Zinseinnahmen aus Kontoüberziehungen (6,6 Mrd.) und Revolving Credit (1,7 Mrd.) mit insgesamt 8, 3 Mrd. überkompensieren. Da ist die Frage berechtigt, welchen Zusammenhang es zwischen Kontoüberziehung und IF-Senkung gibt. Außerdem sind die Zinseinnahmen aus Kontoüberziehungen in der betrachteten Periode, zumindest in der Euro-Zone, rückläufig.

Wenn man die Mengeneffekte (Zunahme der Kartentransaktionen) ausschaltet und die IF-Senkungen (2018 vs. 2014) gemäß EDC analog der EY/CE-Studie auf das gleiche Kartenvolumen (2015) bezieht, beträgt die IF-Senkung ca. 9 Mrd. Was ist nun richtig:

  • 2,7 Mrd. € (korrigiert 1,8 Mrd. €) gemäß EY/CE (2017 vs. 2015) oder
  • 9 Mrd. € gemäß EDC (2018 vs. 2014)?

Die beiden Ergebnisse sind nur schwer in Übereinstimmung zu bringen, es sei denn man unterstellt, dass die größte IF-Senkung bereits vor der IF-VO 2015 stattfand.

Ökonomen sind wie Juristen

Zwei Juristen sagt man nach, dass man auf die Frage nach ihrer Meinung drei verschiedene Antworten bekommt. Bei Ökonomen darf so etwas eigentlich nicht passieren, wenn beide sich auf das gleiche Zahlenmaterial beziehen. Oder liegt es am Auftraggeber (Europäische Kommission bzw. Mastercard)? Das wäre natürlich eine ketzerische Frage.

Wie zu erwarten, verlässt die Kommission sich in dem Endbericht nur auf die zum Teil fragwürdigen Ergebnisse der EY/CE-Studie.

Last but not least, die spannende Frage, ob die (im Blindflug erfolgte) Preisregulierung das Marktergebnis gemessen am Kartenvolumen verbessert oder eher beeinträchtigt hat, wird in beiden Studien nicht untersucht. Fakt ist, das Kartenvolumen ist seit der IF-VO in der EU (wie auch in der Pre-IFR-Periode) ordentlich gestiegen. Welchen Beitrag hat dazu die Regulierung geliefert? Diese Frage möchte ich in einem der nächsten Beiträge in diesem Blog diskutieren.

 

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